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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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herausfordernden Blick. Er erkannte, dass dies die erste Probe war, was seine Aufrichtigkeit betraf. Sano verabscheute den Gedanken, dass Reiko sich in die Villa eines möglichen Mörders begab. Mühsam unterdrückte er die Regung, Reiko von ihrem Vorhaben abzubringen und schluckte jene Worte hinunter, die aus seinem Versprechen einen Verrat gemacht hätten. Stattdessen versuchte er sich selbst davon zu überzeugen, dass entweder Kushida oder der geheimnisvolle Geliebte Harumes der Mörder gewesen war, und dass die anderen Verdächtigen keine Bedrohung für seine Frau darstellten. Schließlich nickte er.
    »Also gut«, sagte er. »Aber bitte sei vorsichtig.«

32.
    D
    er Südwind, der aus Richtung Meer wehte, sorgte am Morgen für milderes Wetter. Flauschige weiße Wolken trieben am stahlblauen Himmel, als Sano und Hirata über die große Nord-Süd-Straße ritten, Edos Hauptverkehrsader. Händler öffneten die hölzernen Läden vor ihren Geschäften, um ihre Waren zu zeigen: schöne Möbel, Gemälde, Lackarbeiten und Stoffe; Diener wischten die Treppenstufen. Nach und nach füllte die Straße sich mit fahrenden Händlern und Teeverkäufern, gemeinen Bürgern, die einander fröhliche Grüße zuriefen, Priestern in orangefarbenen Roben und mit Bettelschalen in den Händen, Damen in Sänften und berittenen Samurai.
    »Wir müssen uns unterhalten, Hirata-san«, sagte Sano.
    Hirata spürte, wie sein Körper sich verkrampfte, wie sein Herz schneller schlug und ihm die Kehle eng wurde. »Ja, sôsakan-sama«, sagte er leise.
    »Die falschen Anschuldigungen gegen Fürstin Keisho-in und Priester Ryuko waren vor allem Kammerherr Yanagisawas Werk«, sagte Sano. »Dass die Verdächtigungen gegen die Fürstin und den Priester durch Harumes Tagebuch, die Aussagen ihres Vaters und den Mord an Choyei gestützt wurden, war Zufall. Doch es gab noch jemanden, der zu dem Fiasko beigetragen hat, das uns beinahe das Leben gekostet hätte, hätte Reiko nicht auf eigene Faust Ermittlungen angestellt und uns im letzten Augenblick gewarnt: Konkubine Ichiteru.«
    Sanos Miene war ernst, und in seiner Stimme lag Widerwillen; offenbar war ihm dieses Gespräch genauso unangenehm wie Hirata. »Du hattest die Aufgabe, die Konkubine zu vernehmen, aber bei deinem ersten Gespräch mit ihr hast du fast nichts herausgefunden. Als ich dich fragte, wo das Problem liegt, bist du einer Antwort ausgewichen. Aber das ist sonst nicht deine Art – ebenso wenig wie eine solche Unfähigkeit. Doch ich habe darüber hinweggesehen, weil ich Vertrauen in dich hatte, dass du die Geschichte selbst wieder in Ordnung bringst. Ich habe auf deine Fähigkeiten als Ermittler gesetzt und ohne stützende Beweise auf Ichiterus Aussage vertraut – genau wie du. Jetzt weiß ich, dass ich einen Fehler begangen habe.«
    Vor Scham wäre Hirata am liebsten im Boden versunken. Er hatte das Vertrauen seines Herrn enttäuscht – ein unverzeihliches Vergehen. Und eine lange Nacht voller Selbstvorwürfe hatte Hiratas Schuldgefühle noch vergrößert. Nun trafen Sanos Worte wie Pfeile sein Innerstes. Die Schönheit dieses Tages, das helle Sonnenlicht, das auf den Kanälen funkelte … dies alles schien Hirata in seinem Kummer zu verspotten. Am liebsten wäre er auf der Stelle gestorben.
    »Irgendetwas stimmt nicht«, sagte Sano. »Aber was es auch ist, ich darf es nicht länger unbeachtet lassen. Als Ichiteru dir erzählte, sie habe mitgehört, wie Keisho-in und Ryuko den Plan ausgeheckt hätten, Harume zu ermorden – weshalb hast du Ichiteru da so rasch geglaubt? Du weißt doch, dass Verbrecher oft lügen, um andere zu belasten und den Verdacht von sich selbst abzulenken. Was war zwischen dir und Ichiteru?«
    Hirata sah, dass Sano eher besorgt als wütend war, und dass es ihm mehr darum ging, zu verstehen als zu bestrafen. Doch Sanos Verständnis bewirkte, dass Hirata sich noch unglücklicher fühlte; nun musste er Erklärungen liefern, wenngleich er eine Prügelstrafe vorgezogen hätte. Widerwillig erzählte er die ganze beschämende Geschichte über die Verführung durch Ichiteru und seine Leichtgläubigkeit. Hirata zwang sich, Sano ins Gesicht zu blicken, während er alles berichtete. Nachdem er geendet hatte, sagte er: »Es gibt keine Entschuldigung für das, was ich getan habe. Ich hätte es besser wissen müssen. Nun habe ich Schande über mich gebracht und Euch große Schwierigkeiten bereitet.«
    Hirata blinzelte die Tränen fort und nahm einen tiefen, zittrigen Atemzug. »Ich

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