Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
fällt mir ein – es hat schon länger keine Botschaften für den alten Mann mehr gegeben, und dass der letzte Besucher bei ihm war, ist auch schon eine Weile her.«
    Ein junger, pickelgesichtiger Ober, der mit einem Essenstablett vorüberkam, meldete sich zu Wort: »Bis auf den Samurai, der gestern hierher kam, kurz nachdem wir die morgendlichen Mahlzeiten aufgetragen hatten.«
    »Welcher Samurai?«, fragten Hirata und der Eigentümer des Lokals gleichzeitig.
    Der Ober verteilte Schüsseln mit Reis und Aal. »Der, den ich in der Gasse gesehen habe, als ich den Abfall nach draußen brachte. Er hat gedroht, mich mit dem Speer zu töten, wenn ich ihm nicht helfe, den Kräuterhändler zu suchen. Also habe ich ihm gesagt, wo der alte Mann wohnt, und der Samurai hat sich eilig auf den Weg gemacht.« Die Miene des Obers zeigte Betroffenheit. »Hat dieser Samurai den alten Mann getötet? Dann wäre ich ja mitschuldig …«
    »Wie sah der Mann aus?«, fragte Hirata.
    »Er war älter als Ihr. Ein hässlicher Bursche.« Der Ober reckte das Kinn vor und machte ein finsteres Gesicht, um das Aussehen des Samurai zu verdeutlichen. »Er war unrasiert. Seine Kleidung war die eines vornehmen Mannes, starrte aber vor Schmutz, als hätte er in der Gosse geschlafen.«
    Ein Hochgefühl überkam Hirata. Die Beschreibung des Mannes und seiner Waffe passten auf Leutnant Kushida, der zu dem Zeitpunkt, als Choyei ermordet worden war, durchaus in dieser Gegend gewesen sein konnte. Den Umhang und die Kapuze konnte Kushida sich später übergestreift haben – aus Gründen der Tarnung. Jedenfalls waren die Verdachtsmomente gegen den Leutnant größer als die gegen Konkubine Ichiteru. Hirata beendete sein Mahl und bedankte sich mit großzügigen Trinkgeldern bei Wirt und Ober. Nachdem er die Essstube verlassen hatte, schickte er einen Boten mit dem Befehl zum Palast, von dort Leute zu schicken, die im Hafenviertel nach Kushida suchen sollten. Dann ritt er zu dem Marktplatz, auf dem Harume beinahe durch einen Dolchwurf getötet worden wäre.

    »Ich zeige Euch, wo es passiert ist«, sagte der für die Sicherheit verantwortliche Priester des Kannon-Tempels in Asakusa. Der Mann war ein ehemaliger Wachposten aus dem Palast des Shôguns; sein Gesicht besaß die derben, furchteinflößenden Züge einer Kriegsmaske aus Eisen, und er strahlte eine Kraft aus, die auch die Amputation seines linken Armes – die vermutlich seine Laufbahn als Wachposten beendet hatte – nicht mindern konnte. Hirata hatte den Priester aufgesucht, um sich den offiziellen Bericht über den Dolchangriff auf Konkubine Harume anzuschauen. Nun verließen er und der Priester den Tempel und gingen über die Naka-mise-dori, die breite Prachtstraße, die von der Hauptgebetshalle zum großen, zinnoberrot gestrichenen ›Tor des Donners‹ führte.
    Asakusa, ein Vorort an den Ufern des Sumida, zog sich zu beiden Seiten der Fernstraße hin, die nach Norden führte. Reisende machten hier häufig Halt, um sich zu stärken und an den Tempeln Opfergaben darzubringen. Dank seiner günstigen Lage war Asakusa eines der belebtesten Viertel Edos. Lärmende Menschenmassen drängten sich auf den Straßen und vor Verkaufsständen, an denen Pflanzen, Heilmittel, Schirme, Süßigkeiten, Puppen und kleine Statuen aus Elfenbein verkauft wurden. Der Duft von Weihrauch mischte sich mit dem würzigen Geruch der berühmten ›Donnerkracher‹ von Asakusa, die aus Hirse, Reis und Bohnen zubereitet wurden. Nach einem Blick in ein Hauptbuch mit Stoffeinband blieb der Priester vor einem Teehaus stehen. In der Nähe spendeten Zuschauer drei Akrobaten Beifall, die auf den Rändern ihrer Fächer eiserne Kreisel wirbeln ließen, während sie auf einem Brett balancierten, das auf drei langen, schwankenden Bambusstäben ruhte, die ein vierter Mann festhielt, der am Boden stand.
    »Wie Konkubine Harume ausgesagt hat, hat sie hier gestanden, und zwar so.« Der Priester bog um eine Ecke des Teehauses, ging zwei, drei Schritte in die angrenzende Gasse hinein und wandte sich dann halb von der Straße ab. »Der Dolch kam aus dieser Richtung« – der Mann wies schräg über die Naka-misedori – »und blieb hier stecken.« Er tippte mit dem Finger auf einen schmalen Schlitz in der Bretterwand des Teehauses. »Die Klinge hat Harumes Ärmel aufgespießt. Ein winziges Stück näher, und die Waffe hätte sie schwer verletzt – oder sogar getötet.«
    »Was ist mit dem Dolch geschehen?«, fragte Hirata.
    »Ich habe ihn

Weitere Kostenlose Bücher