Das Geheimnis
sprach oder wenn sie ihre Musikstunden bekam. Wann immer sie den Palast verließ, habe ich mich freiwillig für die Begleiteskorte gemeldet. Haupt sache, ich war ihr nahe …
Doch bald schon wollte ich mehr.« Seine Stimme wurde lauter, fester; er schien den Wunsch zu haben, sich endlich jemandem anzuvertrauen. »Ich ließ mir immer wieder einen Vorwand einfallen, ein Gespräch mit Harume zu führen. Sie war freundlich zu mir, aber das genügte mir nicht. Ich … Ich wollte ihren nackten Körper sehen.« Begierde lag in Kushidas Augen, als er sich wieder Sano zuwandte. »Also fing ich an, ihr nachzuspionieren. Ich stellte mich vor ihr Zimmer, wenn sie sich auszog, und beobachtete ihren Schatten, wie er sich an den papierenen Wänden bewegte. Eines Tages ließ sie zufällig die Tür zum Baderaum einen Spalt weit offen, und ich sah ihre Schultern, Beine und Brüste.« Die Stimme des Leutnants wurde heiser. »Bei diesem Anblick vergaß ich alle Vorsicht.«
Hatte Harume die Tür zum Baderaum wirklich unabsichtlich offen gelassen, oder hatte sie mit Kushida das gleiche Spiel getrieben wie mit dem Unbekannten am Gasthof, jenes Spiel, das in ihrem Tagebuch beschrieben stand? Bis jetzt hatte Sano ein nur unvollständiges Bild ihres Charakters; er musste mehr über sie erfahren. Doch als er nun den gepeinigten Ausdruck besessener Liebe auf Kushidas hässlichem Gesicht sah, spürte Sano, wie sein Herz vor Aufregung schneller schlug. Eine solche Vernarrtheit konnte bei einem Mann bis zum Mord führen. »Ihr habt also Annäherungsversuche bei Konkubine Harume gemacht?«, hakte Sano nach.
Der Leutnant machte ein finsteres Gesicht, als ärgere er sich über sich selbst, weil er so offen redete. Er beugte sich vor, stützte die verschränkten Arme auf die Knie und starrte zu Boden. »Ich habe Harume einen Brief geschrieben«, sagte er, »und ihr gestanden, wie sehr ich sie bewundere. Aber sie hat mir nie geantwortet. Stattdessen ging sie mir aus dem Weg. Ich hatte Angst, sie verärgert zu haben. Also schrieb ich ihr einen zweiten Brief, in dem ich mich für den ersten entschuldigte und sie anflehte, ihr Freund sein zu dürfen.« Kushidas Stimme wurde angespannter, und er grub die Finger in seine Arme. »Aber sie hat auch diesen Brief nicht beantwortet. Ich bekam sie nur noch selten zu Gesicht, und sie redete kein Wort mehr mit mir.
Ich war so verzweifelt, dass ich alle Disziplin und jede Vorsicht vergaß. Ich schrieb ihr einen dritten Brief, in dem ich ihr meine Liebe gestand. Ich bettelte sie an, mit mir davonzulaufen, um wenigstens für eine Nacht Mann und Frau sein zu können, dann gemeinsam zu sterben und die Ewigkeit zusammen im Paradies zu verbringen. Wieder wartete ich auf ihre Antwort – fünf lange, erbärmliche Tage lang! Ich glaubte, den Verstand zu verlieren.« Ein hohes, schrilles Lachen brach aus Kushidas Kehle hervor. »Als ich dann über den Flur patrouillierte, lief ich Harume plötzlich über den Weg. Ich packte ihre Schultern und verlangte zu wissen, weshalb sie nicht auf meine Briefe geantwortet hatte. Sie schrie mich an, ich solle sie loslassen, doch es war mir längst egal, wer uns sah oder hörte. Ich sagte ihr, dass ich sie liebe und begehre und nicht mehr ohne sie leben könne. Dann …«
Kushida bettete die Stirn auf die verschränkten Arme. Er strahlte eine so fühlbare Aura des Unglücklichseins aus, dass Sano glaubte, sie mit den Händen greifen zu können. »Harume sagte, ich hätte an ihrem Verhalten erkennen müssen, dass sie meine Gefühle nicht teilt. Und dann befahl sie mir, sie in Ruhe zu lassen.« Der Leutnant hob das Gesicht, und Sano sah die tiefe Verzweiflung darin. »Nach all meinen Träumen wies sie mich ab! Ich wurde so wütend, dass mir schwarz vor Augen wurde. Für diese undankbare Hure hatte ich meine Disziplin geopfert, hatte meine Stellung und meine Ehre aufs Spiel gesetzt!
Ich schüttelte Harume und hörte mich rufen: ›Ich werde dich töten. Ich werde dich töten!‹ Schließlich riss sie sich los und rannte davon. Und mir gelang es irgendwie, mich zusammenzureißen und meine Pflichten wieder aufzunehmen. Kurz darauf sagte mein Kommandeur zu mir, Harume habe ihm erzählt, was vorgefallen sei. Ich wurde aus der Wachmannschaft entlassen und habe Harume nie wieder gesehen.« Leutnant Kushida atmete tief aus und ließ den Blick über die belebte Straße schweifen. »Das ist die ganze Geschichte.«
Wirklich?, fragte sich Sano. Eine verbotene Liebe, über einen Zeitraum von acht
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