Das Geheimnis
sehen und ihr Geschnatter und Kichern hören.
»Und nun erzählt mir, was es Neues bei Euch gibt«, forderte Eri ihre Cousine auf und schenkte Reiko und sich warmen Reisschnaps ein.
Bald hatte Reiko ihrer Cousine alles über die Hochzeit erzählt, welche Geschenke sie bekommen hatten, und wie ihre Villa eingerichtet war. Reiko redete so munter drauflos, dass sie Eri fast von ihrem Streit mit Sano erzählt hätte. Eri verstand es meisterlich, einem Gegenüber persönliche Informationen zu entlocken – ein Talent, um das Reiko sie beneidete. Was für eine großartige Ermittlerin Eri abgegeben hätte! Doch auch Reiko versuchte, von Eri Neuigkeiten zu erfahren.
»Der Tod von Konkubine Harume interessiert mich ganz besonders«, sagte sie und knabberte eine getrocknete Aprikose. »Was wisst Ihr darüber?«
Eri trank einen Schluck Reisschnaps; kurz zögerte sie. »Euer Ehemann ermittelt in dem Mordfall, nicht wahr?« Plötzliche Wachsamkeit ließ Eri ein wenig zurückhaltender und vorsichtiger werden. Reiko spürte, dass Eri Männern im Allgemeinen misstraute, und dem bakufu im Besonderen. »Hat er Euch geschickt, um mich zu befragen?«
»Nein«, erwiderte Reiko wahrheitsgemäß. »Er hat mir sogar befohlen, mich aus den Nachforschungen herauszuhalten. Er weiß nicht, dass ich hier bin. Wenn er es wüsste, würde er vor Wut aus der Haut fahren. Aber ich möchte das Rätsel um Harumes Tod lösen. Ich will beweisen, dass eine Frau ein ebenso guter Ermittler sein kann wie ein Mann. Werdet Ihr mir helfen?«
In Eris Augen lag ein verlangendes Funkeln. Sie nickte; dann hob sie die Hand. »Aber zuerst müsst Ihr versprechen, mir alles zu erzählen, was Ihr über die Fortschritte erfahrt, die Euer Ehemann bei seinen Ermittlungen macht.«
»Einverstanden.« Reiko kämpfte einen Anflug von Schuldgefühl nieder; schließlich hinterging sie Sano. Aber das war nur gerecht, denn irgendeinen Preis musste sie natürlich für die Informationen zahlen, die sie benötigte. Und was Sano anging … Hatte er nicht die Strafe verdient, dass jede Frau in Edo von seinen Nachforschungen erfuhr, weil er der eigenen Gattin den Wunsch abgeschlagen hatte, ihm bei seinen Ermittlungen zu helfen? Selbst als die Erinnerung an die Begierde, die sie für Sano empfunden hatte, Reiko einen Augenblick lang ins Wanken brachte, ihre Entschlossenheit erwies sich als stärker. Sie berichtete von der Neuigkeit, welche sie von den Hausmädchen erfahren hatte, die beim Saubermachen in den Polizeikasernen die Gespräche von Sanos Ermittlern belauscht hatten. »Heute verhört mein Mann zwei Verdächtige: Leutnant Kushida und Konkubine Ichiteru. Könnten sie Harume vergiftet haben?«
»Die Frauen im Inneren Schloss sind davon überzeugt, dass einer von beiden der Mörder ist«, sagte Eri, »wobei die meisten der Meinung sind, dass Konkubine Ichiteru die Tat begangen hat.«
»Warum?«
Eri lächelte traurig. »Konkubinen und Hofdamen sind jung. Romantisch. Naiv. Der Schmerz eines abgewiesenen Freiers rührt ihre sanften kleinen Herzen. Sie begreifen nicht, dass ein Mann eine Frau so sehr lieben kann, wie Kushida Konkubine Harume geliebt hat – und zugleich hassen sie diese Frau bis auf den Tod.«
»Aber Ihr habt doch gesagt, dass auch ein paar Frauen Leutnant Kushida für den Mörder halten. Also muss es entsprechende Hinweise geben, nicht wahr?«
»Oh! Ihr redet und denkt wie ein Polizist, Reiko-chan. Euer Ehemann ist ein Dummkopf, dass er Eure Hilfe bei den Ermittlungen zurückweist.« Eri lachte. »Nun, ich werde Euch etwas erzählen, das er wahrscheinlich nicht weiß und auch nicht herausfinden wird. An dem Tag, bevor Leutnant Kushida von seinen Dienstpflichten entbunden wurde, hat ein Wächter ihn im Gemach von Konkubine Harume erwischt. Kushida hatte die Hände in dem Schrank, in dem sie ihre Unterkleidung aufbewahrte. Offenbar wollte er die Sachen stehlen.«
Oder das Gift einschmuggeln?, fragte sich Reiko.
»Der Vorfall wurde nie berichtet«, fuhr Eri fort. »Kushida ist der vorgesetzte Offizier des Wachmanns und hat ihn gezwungen, Stillschweigen zu wahren. Niemand hätte von der Sache erfahren, doch ein Hausmädchen hörte zufällig mit, wie Kushida und der Wachmann sich darüber gestritten haben, und das Mädchen hat mir davon erzählt. Der Wachmann wird nie mehr ein Wort über die Sache verlieren, weil es ihn die Stelle kosten könnte, sollte die Palastverwaltung herausfinden, dass er durch sein Schweigen jemanden schützt, der gegen die
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