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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Erfolg haben! Und bis ihre Zukunft gesichert war, musste sie dafür sorgen, dass ihr Verbrechen niemals ans Tageslicht kam.
    Ichiteru schlüpfte durch die Tür und schloss sie hinter sich, als ihr mit einem Mal ein Gedanke kam. Sie lächelte verschlagen. Die Konkubine wusste plötzlich, wie sie der Gefahr einer Mordanklage entgehen und ihre Stellung festigen konnte.

19.
    N
    ach ein paar Stunden Schlaf und einem Frühstück, bestehend aus Fisch und Reis, verließ Sano früh am nächsten Morgen seine Villa. Reiko schlief noch, während Bedienstete das Durcheinander in Sanos Schreibstube beseitigten. Die Sonderermittler hatten eine Nachricht hinterlassen, dass Leutnant Kushida mittlerweile im Haus seiner Familie unter Arrest gehalten wurde. Hirata hatte den Palast zu Edo bereits verlassen, um verschiedene Spuren zu überprüfen, die den gesuchten Kräuter- und Drogenhändler betrafen, und anschließend die Vernehmung von Konkubine Ichiteru zu beenden. Und Sano selbst unternahm eine Reise zurück in der Zeit.
    Über Nacht war vom Fluss her Nebel aufgezogen. Weißer Dunst lag wie ein Schleier über der herbstlichen Stadt und machte die fernen Hügel und die höher gelegenen Bereiche der Palastanlage zu Edo unsichtbar. Die Sonne war eine blasse Scheibe, die in einem Meer aus Milch trieb. Als Sano in Richtung des Inneren Schlosses ging, schälten sich patrouillierende Wachsoldaten aus dem Nebel, um Augenblicke später wieder in den Schwaden zu verschwinden. Feuchtigkeit tropfte von den steinernen Wänden der Durchgänge und machte die Pfade rutschig. Die dünnen Schreie von Krähen, die über dem Palast ihre Kreise zogen, und die Geräusche von Trommeln, welche die Zuschauer zu einem Sumo-Turnier riefen, klangen gedämpft, als müssten sie eine Schicht Watte durchdringen. Der Geruch von nassem Stein, Blättern und Erde vermischte sich feucht und schwer mit dem von Holzkohlerauch. An Tagen wie diesem, wenn die Schärfe und Klarheit der Wirklichkeit verschwamm, besaß die geistige Welt für Sano eine beinahe greifbare Realität, und die geisterhafte Fährte in die Vergangenheit lockte ihn. Gab es einen besseren Zeitpunkt als diesen, dem gewundenen, düsteren Weg zu verborgenen Wahrheiten über Harumes Tod zu folgen?
    Sano traf Hofdame Chizuru in deren Schreibstube an, einem winzigen Gemach im Inneren Schloss. An den Wänden hingen Holztafeln, auf denen die Namen der Diener und Beamten standen, die an diesem Tag Dienst hatten. Ein Fenster gewährte den Blick auf den Hof der Wäscherei, wo Hausmädchen damit beschäftigt waren, schmutzige Bettwäsche in Bottichen voll heißem Wasser zu kochen. Scharfer Laugengeruch wehte durch das Holzgitter in die Schreibstube. Chizuru kniete in ihrer grauen Beamtenuniform hinter dem Schreibpult und ging Rechnungsbücher durch.
    »Dürfte ich Euch kurz sprechen, Hofdame Chizuru?«, fragte Sano vom Türeingang.
    »Ja, natürlich.« Die otoshiyori legte die Arbeit beiseite und bedeutete Sano, vor ihrem Schreibpult Platz zu nehmen. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und wartete. Ihr maskulines Gesicht blieb ausdruckslos.
    »Was könnt Ihr mir über Konkubine Harume erzählen? Über ihre Herkunft, ihre Ausbildung?«, fragte Sano, der die Vermutung hegte, dass Harumes Leben ihm wertvolle Hinweise geben konnte, was ihren Tod betraf. Woher stammte sie? Was für ein Mensch war sie gewesen? Die Antworten auf solche Fragen konnten Sano tiefere Einsichten bringen, als es bisher bei den Zeugen und Verdächtigen der Fall gewesen war.
    Chizuru zögerte; dann erklärte sie: »Die Akten über die Bediensteten des Shôguns – auch über die Konkubinen – sind vertraulich. Wenn jemand Einzelheiten erfahren will, muss er mir eine Sondergenehmigung vorlegen.«
    »Ich kann mir vom Shôgun persönlich eine solche Genehmigung ausstellen lassen und dann noch einmal herkommen«, erklärte Sano. Wenngleich Chizurus Verhalten ihn ärgerte, so respektierte er doch, dass sie sich an ihre Vorschriften hielt: Würden mehr Menschen so handeln, gäbe es weniger Verbrechen. »Ihr könnt mir und Euch ziemlichen Ärger ersparen, wenn Ihr meine Fragen hier und jetzt beantwortet«, fuhr Sano fort. »Außerdem ist Harume tot. Weshalb sollte Vertraulichkeit da noch eine Rolle spielen?«
    »Also gut«, gab Hofdame Chizuru nach. »Konkubine Harume wurde in Fukagawa geboren. Ihr Mutter heißt Blauer Apfel … Sie war ein Nachtfalter.«
    Das Wort war die poetische Umschreibung für eine Prostituierte, die ihrem Gewerbe

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