Das Geheimnis
Männlichkeit ohnehin an Jungen, sodass Ichiteru keine Konkurrenz zu fürchten hatte. Und dann, in ihrem vierten Jahr als Konkubine, wurde sie endlich schwanger.
Der Shôgun war überglücklich. Aus dem ganzen Land kamen Glück- und Segenswünsche. Und in Kyôto wartete die kaiserliche Familie voller Ungeduld auf ihre Rückkehr zu Macht und Größe. Jeder umschmeichelte Ichiteru, und sie sonnte sich in der allgemeinen Aufmerksamkeit. Für das Kind wurde ein prunkvolles Gemach eingerichtet.
Dann, nach acht Monaten, erlitt Ichiteru eine Fehlgeburt. Das tot geborene Kind war ein Junge. Das ganze Land trauerte. Doch weder der Shôgun noch Ichiteru gaben auf. Kaum hatte sie ihre Gesundheit wiedererlangt, kehrte sie in Tokugawa Tsunayoshis Schlafgemach zurück. Schließlich, im letzten Jahr, war sie erneut schwanger geworden; doch nachdem sie auch das Kind verloren hatte, diesmal im siebenten Monat, gab der bakufu ihr die Schuld dafür und riet dem Shôgun, »keinen weiteren kostbaren Samen mehr an Ichiteru zu vergeuden«. Stattdessen sorgte der bakufu dafür, das dem Shôgun junge, frische Konkubinen zugeführt wurden, um seinen nachlassenden sexuellen Appetit wieder anzuregen.
Eine dieser neuen Konkubinen war Harume gewesen.
Noch immer brannte der Hass auf die Rivalin in Ichiteru – selbst jetzt noch, nach Harumes Tod. Doch Ichiteru ermahnte sich, dass Harume nun keine Bedrohung mehr darstellte. Erleichtert kehrte sie in die Wirklichkeit zurück und blätterte eine weitere Seite im Buch um. Beim Anblick der Zeichnung stöhnte Tokugawa Tsunayoshi lustvoll auf. Das Bild zeigte zwei nackte Knaben, die auf allen Vieren in einem Gartenpavillon kauerten, der vom Mondlicht beschienen wurde. Hinter den Jungen kniete ein älterer, ebenfalls nackter Mann; er trug lediglich die gleiche schwarze Mütze wie der Shôgun. Mit einem der Jungen hatte der Mann gleichgeschlechtlichen Verkehr; den anderen liebkoste er zwischen den Beinen. Laut las Ichiteru das begleitende Gedicht vor:
» Der Tag wird zur Nacht,
Ebbe wandelt sich zur Flut,
Eis schmilzt im Sonnenschein,
Nur die Lust ist unwandelbar. «
Als sie die Begierde in Tokugawa Tsunayoshis Augen sah, sagte Ichiteru mit herausforderndem Lächeln: »Dann kommt, Herr, und stillt Eure Lust bei mir.«
Sie öffnete ihren Kimono, unter dem sie fast nackt war. Nur ein nachgebildetes, aufgerichtetes männliches Glied aus fleischfarben bemalter Jade, auf das der Shôgun nun lüstern starrte, hatte Ichiteru mit ledernen Riemen zwischen ihren Lenden festgeschnallt. Tokugawa Tsunayoshi stieß einen tiefen Seufzer lustvoller Erregung aus. »Aaah …«
»Schließt die Augen«, forderte ihn Ichiteru mit verführerischer Stimme auf.
Der Shôgun gehorchte. Sie nahm seine Hand und legte sie auf den Jadestab. Tokugawa Tsunayoshi stöhnte vor Lust. Ichiteru schob die Hand unter seine Gewänder und streichelte sein winziges, warmes Glied, das sich unter der Berührung aufrichtete. Dann nahm sie sanft seine Hand von dem nachgebildeten Glied aus Jade, ergriff die Schultern des Shôguns und drehte ihn auf den Rücken. Wieder stöhnte Tokugawa Tsunayoshi vor Wonne, als Ichiteru mit schlanken Fingern geschickt seine Schärpe löste und seine Gewänder öffnete. Schließlich setzte sie sich rittlings auf ihn, nahm sein Glied in sich auf, passte sich dem Rhythmus seiner Bewegungen an und täuschte lustvolle Erregung vor. In Wahrheit jedoch flehte sie zu den Göttern, wieder ein Kind von Tokugawa Tsunayoshi zu empfangen und es dieses Mal nicht zu verlieren wie schon zweimal zuvor, sondern endlich die Mutter des nächsten Shôguns zu werden, auf dass ihr erbärmliches, erniedrigendes Leben einen Sinn bekam. Hoffnung keimte in ihr auf. Vielleicht war sie in einem Jahr sogar Tokugawa Tsunayoshis neue Gemahlin. Dann würde sie den Shôgun dazu bringen, dem Palast von Edo den Glanz und die Pracht des einstigen Kaiserhofs zu verleihen. Letztendlich würde sie dann doch das Ziel erreichen, das ihre Familie angestrebt hatte und dafür sorgen, dass ihre Eltern und Verwandten für immer in ihrer Schuld standen.
Doch wie nahe sie daran gewesen war, alles zu verlieren!
Harume, jung, frisch und schön. Harume, mit ihrem natürlichen, einnehmenden Charme. Harume, voll von jenen Versprechen, die Ichiteru selbst einst gegeben hatte. Schon nach kurzer Zeit war es Harume gewesen, die Tokugawa Tsunayoshi am häufigsten in sein Schlafgemach bestellt hatte. Nach zwölf entehrenden Jahren als Konkubine und dem Schmerz
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