Das geheimnisvolle Gesicht
Mann hinter dem Tresen schien überrascht, aber dann fiel auch ihm etwas ein: „Dr. Bertrand wünschte, daß ich für heute mittag einen Strauß gelber Rosen besorgen sollte. Jetzt habe ich schon bei drei Geschäften angefragt, doch keines hat gelbe Rosen. Können Sie mir einen Rat geben?“
„Hm“, machte der falsche Dr. Tonin und fuhr sich gedankenverloren über die Stirn. „Ich glaube in diesem Fall, daß es doch besser ist, wenn wir auf Dr. Bertrand warten. Ist Madame denn überhaupt im Haus?“
„Sie hat sich vor einer halben Stunde erst das Frühstück aufs Zimmer bringen lassen. Sie geht selten vor 14 Uhr weg
Püttely grinste den Portier verschwörerisch an. „Ich möchte mit Ihnen wetten, daß sie ein Zimmer mit einer 3 genommen hat. Das ist nämlich ein Tick von ihr. Sie schwor schon in unserer Studentenzeit auf die Ziffer 3.“
Der Portier schüttelte den Kopf, und mit dem Zitronenlächeln von vorhin gab er zurück: „Die Wette hätten Sie glatt verloren, Herr Doktor. Frau Lamatin hat Nr. 12 im ersten Stock. Ein Appartement!“
Püttely reagierte sofort. Mit aufgesetzter Fröhlichkeit stieß er mit dem Zimmerschlüssel ein Loch in die Luft und lachte: „Da haben Sie’s. Um ein Haar hätte ich die Wette gewonnen. Zählen Sie doch eins und zwei zusammen, dann haben sie die Drei! Aber jetzt muß ich mich über die Verträge machen…“
Roger Püttely eilte die Stufen zum ersten Stock hinauf. Er schloß die Tür von Nummer 7 auf und trat ein. Bewegungslos verharrte er fast drei Minuten in dieser Stellung, dann hatte er seine Nerven wieder unter Kontrolle. Er stellte den Diplomatenkoffer auf den Tisch, öffnete ihn und entnahm ihm zwei kleine weiße Papiertüten. Als er diese in der rechten Jackentasche verschwinden ließ, huschte ein zynisches Lächeln über seine Lippen. Aus dem Deckelfach des Koffers fischte er eine Fotografie in Postkartengröße. Lange betrachtete er das aparte Gesicht darauf. Apart und schön war es. Die schwarzen Haare und die ebenfalls tiefdunklen Augen verliehen dem Gesicht etwas Exotisches.
„Bis gleich!“ flüsterte Püttely dem Bild zu und ließ es ebenfalls verschwinden. Dorthin, wo schon ein anderes Foto steckte. Vorsichtig öffnete er die Zimmertür einen Spalt und lauschte nach draußen. Als er sicher zu sein glaubte, daß der Gang leer war, huschte er hinaus und zog die Tür leise hinter sich ins Schloß.
Die Zeiger seiner Armbanduhr zeigten 11 Uhr 50 an.
Von der Rezeption drangen Wortfetzen herauf. Es waren mindestens drei verschiedene Stimmen.
Nr. 8... 9... von oben kam jemand die Treppe herunter, Püttely drängte sich in die Nische neben einer Tür... vorbei. Da war sie, die Nummer 12.
An der Rezeption wurde noch immer gesprochen.
Püttely klopfte.
Nicht zu laut, aber auch nicht so, daß man es überhören konnte.
Er hatte mit einem „Ja“ oder einem „Wer ist da?“ gerechnet. Daß es schlicht und einfach „Herein!“ rief, brachte ihn einen Moment lang aus der Fassung.
Er trat ein.
Sie starrte ihn an. Offensichtlich hatte sie ein bekanntes Gesicht des Hotelpersonals erwartet.
„Bitte?“ fragte sie deutsch, und es klang beunruhigt.
„Sie ist noch schöner als auf allen Bildern zusammen“, stellte Roger Püttely in Gedanken fest. Doch er nannte diese Art von kalter Schönheit so, wie er es einmal im Zusammenhang mit einer Filmschauspielerin gelesen hatte: „Retortenschönheit.“
Claire trug einen eleganten Hosenanzug aus Lurex. Püttely verbeugte sich und bediente sich des Französischen: „Guten Tag, Madame, ich freue mich, daß ich Sie gefunden habe!“ In Claire Burtons Gesicht spiegelten sich nacheinander alle Empfindungen wider, von denen sie heimgesucht wurde:
Erstaunen,
Mißtrauen,
Schrecken,
Angst und
Entsetzen. Auch sie sprach jetzt französisch. Laut, hektisch, atemlos: „Wer sind Sie, was wollen Sie von mir? Mit welchem Recht dringen Sie hier ein?“
Roger Püttely, der eiskalte, berechnende Gauner hatte alle diese Empfindungen erkannt, und sie erfüllten ihn mit Genugtuung.
„Lassen Sie mich Ihre Fragen nacheinander beantworten. Zunächst ,Wer bin ich?’ Ich habe eine Menge Namen, Madame. Tom Allerson zum Beispiel, oder Roger Püttely. Manchmal heiße ich auch Pierre d’Albert oder Bertrand. Zur Zeit bin ich Doktor Tonin aus Genf... Ihre zweite Frage lautete, was ich von Ihnen wolle. Die Antwort läßt sich mit der dritten Frage nach dem Recht meines Eindringens koppeln. Ich bin ein Jäger, der sein Wild
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