Das geheimnisvolle Gesicht
kleinen Pause fügte er in Gedanken verstrickt hinzu: „Das ist im Augenblick aber auch das einzige, was sich mit Sicherheit behaupten läßt.“ Er erwähnte nichts davon, was für ihn jetzt unumstößlich feststand: Der „Fall Burton“ war ein Fall von Versicherungsschwindel oberer Größenordnung. Doch dann verschlug es ihm einmal mehr die Sprache. Gaitner sprach das aus, was ihm knapp 24 Stunden zuvor schon selbst durch den Kopf gegangen war. Und Gaitners Stimme klang dabei merkwürdig ernst: „So, wie sich die Dinge abzeichnen, muß der Fall mit der Lebensversicherung Zusammenhängen. Nachdem feststeht, daß die angebliche Tote nicht tot ist, möchte ich behaupten, daß sie sich in großer Gefahr befindet.“
„Diese Befürchtung habe ich auch. Übrigens, Herr Gaitner, da wäre noch eine sehr wichtige Frage, von deren Antwort eine Menge abhängt. Erinnern Sie sich an die einzelnen Fotos, die ich Ihnen zeigte?“
„Ja, ich erinnere mich an jede Aufnahme. Fragen Sie!“ Und Perry Clifton stellte jene Frage, von der, wie er meinte, eine Menge abhing. Johannes Gaitner antwortete ohne Zögern. Eine Pause schloß sich an.
Irritiert forschte der ehemalige Kommissar: „Sind Sie nicht zufrieden mit meiner Antwort?“
„Doch... Jetzt habe ich den ersten Beweis dafür, daß mir mein Auftraggeber nicht die volle Wahrheit gesagt hat. Nicht nur das, er hat mich sogar bewußt und in voller Absicht belogen.“
„Und welche Konsequenzen wollen Sie aus diesem Wissen ziehen?“
„Das weiß ich wohl erst dann, wenn ich mit Madame Bloyer... ich meine, mit Claire Burton gesprochen habe. Noch etwas zum morgigen Tag, Herr Gaitner: Sie glauben zwar, daß sich Püttely und Komplizen erst am Montag wieder auf meine Spur setzen werden, aber ich möchte doch jedes Risiko ausschalten.“
Gaitner stimmte sofort zu: „Sie haben recht. Es wäre eine Dummheit von mir, nachdem wir Püttely noch immer nicht kennen, Sie vom Hotel abzuholen. Verlassen Sie es durch den Hinterausgang. Ich werde Sie auf dem Birsig-Parkplatz erwarten.“
„Okay“, sagte Perry Clifton.
„Gute Nacht!“ wünschte der Kommissar.
Gute Nacht? Würde es wirklich eine gute Nacht werden?
Merkwürdig, wirklich merkwürdig!
Von dem Stimmungshoch, das Gaitner zu Beginn des Gesprächs mit ihm erwähnt, und von der Zuversicht, die ihn nach Colettes Weggang erfüllt hatte, war nichts übriggeblieben.
Im Gegenteil, die alte Unruhe überfiel ihn wieder und zerrte mit der gleichen Intensität an ihm wie schon einmal am heutigen Abend. Als er sich, müde vom Denken, vom Grübeln und von den Ereignissen des Tages auszog und wenig später ins Bett kroch, tat er es in der festen Überzeugung, damit einen verhängnisvollen Fehler zu begehen. Dieses Wissen und das Suchen nach einer Antwort auf die Frage, welcher Fehler das sein könnte, beschäftigten ihn so sehr, daß in seinem Kopf für nichts anderes mehr Raum war...
23 Uhr 15.
Trotz der späten Stunde beschwingt und eine Melodie summend, betrat die kleine, zierliche Colette Salier das Foyer des Bristol.
Wahrscheinlich, vermutete sie, würde ihr Herr Maier, der Nachtportier, jetzt wieder eines seiner „Riesenbrote“ anbieten, die ihm seine Frau für die lange Nacht mitgab. Hatte er es sich doch in den Kopf gesetzt, sie, Colette, etwas aufzupäppeln. Dabei fühlte sie sich so, wie sie war, eigentlich ganz wohl.
Natürlich, da winkte er schon, der liebe Herr Maier. Doch es war ein anderes Winken als sonst. Kein väterlich-behäbiges, auch kein fröhliches. Er winkte ausgesprochen eilig, und in seinem breiten, sonst stets Ruhe ausstrahlenden Gesicht war Unbehagen, ja Sorge. Und während er winkte, huschten seine Blicke verräterisch hinüber zu einer Sesselgruppe, wo, wie Colette feststellte, zwei Herren saßen...
„Bitte, Herr Maier, was ist denn?“
Er sagte leise, besorgt: „Da sind zwei Herren von der Polizei, Colette, die wollen mit dir sprechen.“
Colette Salier, Bauerntochter aus der Nähe von Toulon, obwohl sich keiner Schuld bewußt, spürte plötzlich ihr Herz klopfen.
Und da waren sie auch schon neben ihr. Der eine hielt ihr eine Legitimation hin, und Colette las: „Internationale Polizei — Interpol-Zentrale-Paris. Commissaire Dr. Albert Tonin.“
Und sie sah diesen Dr. Tonin an, der sie in fließendem Französisch aufklärte: „Sie müssen sich nicht sorgen, Mademoiselle, wir sind nicht Ihretwegen hier.“
„Ich habe auch nichts ausgefressen!“ erwiderte Colette trotzig, obwohl
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