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Das geheimnisvolle Gesicht

Das geheimnisvolle Gesicht

Titel: Das geheimnisvolle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ecke
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„Guten Nacht“ gehörten Perrys Meinung nach auch gute Träume. Und diese hatte er in jener Nacht nicht. Im Gegenteil: In einem alptraumähnlichen, unruhigen Schlaf träumte er von Schiffen, springenden Fischen, brausenden Wellen. Von lärmenden Wassermassen, die sich am Mauerwerk unzähliger Leuchttürme brachen. Es war eine regelrechte Leuchtturm-Landschaft, die der eines Ölfeldes glich, wo Bohrturm an Bohrturm aus dem Boden wuchs. Inmitten dieses Infernos stand ein Mann. Ein Riese, dessen Ober- und Unterlippen von einem Vorhängeschloß zusammengehalten wurden. Sein Gesicht wies die Züge John Astons auf. Auf seinem Kopf wuchsen statt Haare tausende glitzernder Stacheln...
    Der frühere Leuchtturmwärter stand hochaufgerichtet zwischen Leuchttürmen, Felsen und dem Wrack eines Schiffes, während Perry Clifton verzweifelt versuchte, gegen die Flut gischtender Wasserberge anzukämpfen. John Aston aber lachte ihm durch seinen verschlossenen Mund zu, und sein Lachen klang wie das Rauschen des Meeres.
    Ja, es rauschte...
    Rauschte...
    Rauschte...
    Rauschte...
    Es rauschte so stark und heftig, daß Perry Clifton davon aufwachte.
    Schweißgebadet...
    Und erleichtert darüber, daß alles nur ein Traum war, kroch er aus dem Bett, stampfte müde und erschöpft zur gegenüberliegenden Wandseite und schaltete das rauschende Radio ab.
    Es war 3 Uhr 40.
    Zehn Minuten später schlief er bereits wieder.
    Er schlief einem Tag entgegen, der nicht nur ihm in Basel überraschende Entdeckungen bringen sollte. Auch in London gab es an diesem Sonnabend erstaunte, überraschte, aber auch besorgte Mienen...

Etwas geschieht...

    London, Sonnabend , 25. März, 10 Uhr 25

    Scheinbar sehr interessiert betrachtete der ältere Mann die Auslagen der drei Schaufenster. Er steckte in einem Wettermantel und trug auf dem Kopf eine flache Mütze, „HOLLBURN & SOHN“ stand in Goldbuchstaben über jedem Schaufenster. Und HOLLBURN & SOHN stand auch auf der Tür, durch die der Mann jetzt das Antiquitätengeschäft betrat.
    „Guten Morgen!“ sagte Penelope Ladbrok, ein lebender Teil der herumstehenden Antiquitäten. Ihr runzliges Gesicht, das auf einem dünnen Hals saß, der wiederum aus einem gestärkten Spitzenkragen ragte, lächelte den Kunden freundlich an. Das tat sie seit fünfzig Jahren schon. Und im Laufe dieser fünfzig Jahre hatte sie ein Gespür dafür entwickelt, wie hoch die Kaufkraft eines Kunden einzuschätzen war. Und diesen hier schätzte sie allerhöchstem auf einen Wasserkrug aus dem 19. Jahrhundert oder ein viktorianisches Riechfläschchen ein. Beides Gegenstände, die für zehn bis zwanzig Pfund zu haben waren.
    „Guten Morgen, Mylady!“ erwiderte der Mann im Wettermantel höflich. „Ich möchte mich ein bißchen umsehen, wenn Sie erlauben.“
    „Bitte sehr, selbstverständlich!“
    Die „Mylady“ tat Penelope fast so gut wie ein warmes Fußbad nach einem langen Spaziergang, und sie war gewillt, die Kaufkraft des in ihrer Gunst gestiegenen Kunden entsprechend anzuheben. Vielleicht interessierte er sich für eine Sunderland-Fingerschale für 60 Pfund? Oder wie wär’s mit der Newhall-Teekanne?
    Doch der Kunde schien nicht viel von Porzellan und Glas zu halten.
    Penelope runzelte die Stirn, als er vor einem Eichenschrank haltmachte. Sie tastete sich über den veloursausgelegten Boden näher.
    „Ein besonders massives Stück. Eiche, 17. Jahrhundert...“
    „Aha... Sehr interessant. Und das da?“
    Bei dem „das da?“ empfand Penelope fast körperlichen Schmerz. „Das da“, sagte sie pikiert, „ist ein Nußbaumsekretär mit Untergestell aus der Zeit von Queen Anne!“
    „Sieh mal an, der gefällt mir. Den nehme ich!“ sagte der Mann. Penelope schluckte, daß die gestärkten Spitzen hüpften. „Der Preis... der Preis...“, sie sah den Wettermantel, die Mütze, die derben Schuhe..., „der Preis ist 4000 Pfund, Sir!“ Das „Sir“ war ihr angesichts der 4000 Pfund herausgerutscht.“
    „Dann nehme ich ihn natürlich nicht!“ sagte der Mann.
    „Natürlich nicht!“ lächelte sie.
    „War ein Scherz!“ sagte er.
    „Natürlich!“ sagte sie.
    „Eigentlich war ich nur mal neugierig, weil mein Freund Clifton sagte, geh doch mal hin und sieh dich mal um, bei Hollburn & Sohn... Was es da alles für schöne Sachen gibt. .
    „Clifton?“
    „Ja, Perry Clifton. Kennen Sie ihn zufällig?“
    „Ich nicht, aber jemand anders!“ Sie räusperte sich, und es klang wie das krächzende Husten eines Igels, der zur

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