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Das geheimnisvolle Gesicht

Das geheimnisvolle Gesicht

Titel: Das geheimnisvolle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ecke
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witzelte: „Es sind nicht gerade die Niagarafälle, aber wir Schweizer waren ja schon immer bescheiden!“
    „Die Höflichkeit gebietet es mir, nicht zu widersprechen!“
    „Wollen wir wetten, daß Sie nicht wissen, wie viele Meter das Wasser hier hinunterstürzt?“
    „Stürzt?“ wiederholte Clifton grinsend. „Sagen wir lieber hinunterplätschert.“
    „Meinetwegen!“ (Zänkisch war Theres noch nie gewesen.) „Gut, wetten wir!“ willigte Perry ein. „Um wieviel wollen wir wetten?“
    „Ich habe meine festen Tarife. Ich wette um einen Franken!“
    „Einverstanden, um einen Franken! Ich schätze... na ja, es wird sich so 21 Meter in die Tiefe dahinplätschern!“
    Gaitners Haushälterin sah Clifton zuerst enttäuscht, dann mißtrauisch an. Trotzdem griff sie wortlos in ihre Manteltasche und holte den verlorenen „Tarif“ heraus.
    „Danke!“ sagte Clifton, verbeugte sich und verstaute den Gewinn dort, wo schon eine Ansichtskarte vom Rheinfall steckte, auf der alle Daten ordnungsgemäß aufgeführt waren.
    „Ich werde nie wieder am Rheinfall wetten!“ versicherte die Theres: „So ein Reinfall!“
    Von Schaffhausen aus fuhren sie rheinaufwärts über Münster bis zum Bieler See, wo sie zu Mittag aßen und wo sich Clifton von Johannes Gaitner zu einem Fischessen überreden ließ. Bei dieser Gelegenheit erkundigte er sich auch nach jenem von Scott Skiffer so oft erwähnten Weinlokal, wo man sich angeblich gegenseitig die Schuppen auf dem Kopf zählen konnte. Und Gaitner erzählte ihm voller Bedauern (und Grimm), daß das Haus, in dem das Lokal untergebracht war, einem unschönen Neubau hatte weichen müssen...

    London, 12 Uhr

    Mister Hollburn jun. saß in seinem Büro und studierte den neuesten Auktionskatalog von „Christie“, Penelope Ladbrok lag seit zehn Minuten auf dem Sofa im Personalzimmer und kämpfte gegen einen hartnäckigen Schluckauf an, während Julie Young ein Ehepaar verabschiedete, dem sie vergeblich versucht hatte, die Wertsteigerung einer antiken Standuhr aus Nußbaum klarzumachen. Aber entweder hielt sie der Ehemann für eine Zigeunerin, mit der man feilschen mußte, oder das Feilschen war sein Sonnabendvergnügen. Für das herrliche Stück aus dem 17. Jahrhundert mit wunderschönen Intarsien von Joseph Buckingham, das mit 1000 Pfund angesetzt war, wollte der Feilscher „höchstens sechshundert“ bezahlen.
    Julie geleitete das Pärchen zur Tür, als ihr Blick auf einen hochgeschossenen Jungen fiel. Er trug verwaschene Jeans, einen dunkelgrünen Rollkragenpulli und eine helle Jacke. Julie sah ihn nicht zum ersten Mal. Schon vorhin hatte er sich die Nase am Glas der Tür plattgedrückt. Als er jetzt Julies Blicke so direkt auf sich gerichtet sah, reckte er sich trotzig und marschierte auf sie zu. Dabei musterte er sie wie der Igel die Schnecke, bevor er sie frißt.
    „Hallo!“ sagte Julie und forderte ihn auf. „Komm herein, wenn du dir was ansehen willst!“
    Sie sagte es freundlich, aber der Junge schien diese Freundlichkeit zu bedauern. Ebenso wie er nach näherem Hinschauen feststellen mußte, daß sie nicht häßlich war. „Danke!“ sagte er und schob sich an ihr vorbei ins Innere des Ladens, in dem es so vornehm aussah und so eigenartig roch. „Also, was gefällt dir besonders?“
    Der junge Mann bekam rote Ohren, und als er das fühlte, wurden sie noch röter. Aber Dicki war keiner, der kniff: „Ich wollte Sie mir nur mal ansehen!“
    Das verschlug sogar Julie Young die Sprache. Sie, der es sonst nicht so leicht die Sprache verschlug, sagte nur:
    „Oh…“
    „Sie sind doch Miß Julie, oder?“ Julie nickte. Sie hatte sich inzwischen gefaßt und lächelte Dicki an.
    „Du weißt, wer ich bin, aber ich habe keine Ahnung, wer du bist. Findest du das gerecht?“
    „Ich bin Dicki Miller!“
    Julie Young brauchte nur ganze zwei Sekunden, um Dicki Miller in die richtige Schublade zu tun. Ihre braunen Augen strahlten Dicki voll ehrlicher Freude und Überraschung an. Dann stützte sie die Arme in die Hüften und fragte wie eine Tante, die zum ersten Mal ihren Neffen sieht: „Du bist also Dicki Miller aus Norwood?“
    „Ja!“
    „Der Dicki mit dem Großvater, der für alle Lebenslagen einen Spruch auf Lager hat? Und der Dicki, der Perry Cliftons bester Freund ist?“
    Er nickte. Julie streckte ihm die Hand entgegen: „Ich freue mich, dich kennenzulernen!“ Und entgegen aller Vorsätze schlug Dicki in Julies Hand ein. Eine Spur zu schnell, wie er fand — hinterher.

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