Das geheimnisvolle Gesicht
war Wirklichkeit geworden: Es gab keine Madame Bloyer, es gab nur eine Claire Burton, die sich jetzt Bloyer nannte! Und hinter der, außer ihm, noch mindestens vier andere Männer herjagten.
Es gab für Perry Clifton keinen Zweifel daran, daß Claire Burton in allergrößter Gefahr schwebte!
Colette Salier schien doch etwas von dem gespürt zu haben, was in ihrem Gegenüber vorging.
„Ist etwas, Monsieur Clifton? Habe ich was Falsches gesagt?“
„Sie wollen Madame Bloyer doch helfen...?“
Sie nickte lebhaft. „Ja!“
„Das könnten Sie nur, wenn Sie wüßten, wohin sie von hier aus gereist ist!“
Sie zuckte hilflos mit den Schultern und sagte leise: „Das weiß ich nicht... Davon hat sie nie gesprochen...“
„Ich muß Ihnen etwas sagen, Colette. Es geht nicht allein nur um die Erbschaft. Es geht auch um einen großen — Versicherungsschwindel . “
„Versicherungsschwindel?“ Colette schluckte.
„Ja, und noch etwas: Madame ist in allergrößter Gefahr, wenn ich sie nicht recht bald finde!“
Colette hatte sich zurückgelehnt und starrte Clifton aus großen Augen erschreckt an. „Gefahr?“ flüsterte sie...
„Ja…“
Sie schüttelte traurig den Kopf. „Immer, wenn ich sie gefragt habe, wohin sie von Basel aus reise, hat sie nur gelacht und gesagt: ,Dorthin, Colette, wo es schön und ungefährlich ist... Wo es weder Blitze, Donner noch Erdbeben gibt’... Das hat sie gesagt, Monsieur!“ Und naiv fragte sie: „Wo gibt es keine Blitze, keinen Donner und kein Erdbeben?“
„Ich glaube, daß das nur symbolisch gemeint war, Colette.“ Sie lächelte ein trauriges Lächeln. Und ebenso traurig sagte sie: „Arme Madame Bloyer...“
„Hat sie Ihnen mal erzählt, aus welcher französischen Stadt sie stammte?“
„Sie sagte nur, sie hasse Bordeaux und liebe Paris.“
„Erwähnte sie ihren Bruder?“
Colette schüttelte den Kopf.
„Wie hieß Madame Bloyer mit Vornamen?“
„Claire!“
„Wie war sie? Fröhlich, bedrückt, ausgelassen, ängstlich? Colette überlegte lange, bevor sie antwortete: „Sie war alles... Einmal fröhlich und beschwingt, dann sang sie. Dann wieder traurig... Am traurigsten war sie, als das mit ihrer goldenen Uhr passierte... Da weinte sie stundenlang.“
„Was war mit der goldenen Uhr?“
„Ihr Mann hatte sie ihr aus Südafrika mitgebracht... Ihr Mann ist ja mit einem Flugzeug abgestürzt, wissen Sie das?“
Perry nickte.
„Ja, die Uhr... Es war eine Armbanduhr. Sie war runtergefallen, und Madame war draufgetreten. Dabei ist der Verschluß kaputtgegangen... Es war wohl ein sehr komplizierter Verschluß. Sie fragte mich nach einem Uhrmacher, der so was reparieren könnte. Das war einen Tag bevor...“ Sie hielt mitten im Satz inne, packte Clifton am Arm und schluckte. Hektische Flecken überzogen ihre Wangen, während die schwarzen Augen zu funkeln begannen.
„Das war ein Tag bevor was, Colette?“
„Ein Tag, bevor sie abreiste. Und sie wollte den Uhrmacher bitten, ihr die Uhr nachzuschicken. Hören Sie, Monsieur... Wenn der Uhrmacher ihr die Uhr nachschicken soll...
„... dann muß er auch wissen, wohin!“ vollendete Perry ihren Satz. „Das wollten Sie doch sagen?“ Sie nickte. Glücklich und lebhaft. Und sie nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas.
„Leider wissen wir nicht, zu welchem Uhrmacher sie die Uhr gebracht hat“, murmelte Clifton und war entschlossen, sich anschließend vom Portier das Branchenbuch geben zu lassen. Hoffentlich hatte der so was... Wie viele Uhrmacher mochte es wohl in Basel geben? Zehn? Zwanzig? Vielleicht sogar fünfzig? Schließlich war er im Lande der Uhren...
„Ich weiß, zu welchem Uhrmacher Madame Bloyer ihre Uhr gebracht hat.“
Perry Clifton sah sie an. „Sie wissen es??“
„Ja. Zu Ehrmann in der Steinenvorstadt.“
„Zu — Ehrmann in der Steinenvorstadt!“ wiederholte Perry Clifton. Und noch einmal: „Zu Ehrmann in der Steinenvorstadt...“Jetzt nahm auch er sein Glas zur Hand, und komischerweise fiel ihm in diesem Augenblick das ein, was Edward Hamilton zu ihm gesagt hatte, und er wandelte es etwas ab: „Sollte der Rhein plötzlich wieder flußaufwärts fließen, Colette, werde ich dafür sorgen, daß Ihr Gedächtnis in Gold gefaßt wird
22 Uhr 55.
Perry Clifton wollte es im Höchstfall fünfmal klingeln lassen. Doch schon nach dem dritten Rufzeichen wurde der Hörer abgenommen.
„Gaitner!“ Es klang nicht danach, als ob er schon geschlafen hätte.
„Ich hoffe, daß ich Ihnen nicht
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