Das geheimnisvolle Tuch
Balduinsteins lebten sehr zurückgezogen, sodass über das Leben dieser uralten Familie keinerlei Gerüchte nach außen drangen. Erst seitdem die Familie verarmte und dadurch der Erhalt des Schlosses die Geldreserven aufbrauchte, wurden sie zugänglicher. Aus der Not heraus öffneten sie ihren Sitz und gaben ihn zu Besichtigungen frei. Die Gesindehäuschen wurden zu einer Jugendherberge umgebaut. Mit freundlicher Genehmigung der Familie durfte ich die Ahnengalerie fotografieren. So sehr ich darum bat, erteilte man mir keine Auskunft über das Leben und Schicksal der auf den Gemälden abgebildeten Personen. Dieses Buch basiert auf Recherchen, die ich im Lauf der Zeit gesammelt habe.“ Schwabbel legte eine Pause ein.
Das Lesen unter dem spärlichen Licht des Projektors strengte ihn zu sehr an. Er ließ die Rollos wieder nach oben schnappen, ging zu dem Lehrertisch, auf den er das Buch legte, und setzte sich auf den dahinter stehenden Stuhl. Putzte noch einmal über seine Brille und las laut vor: „Es gibt kein Adelsgeschlecht in unserem Land, das so ein Geheimnis birgt wie das der von und zu Balduinsteins. Obwohl diese Familie die Gegend auch im Bereich von Steinhausen mitprägte, ist über sie wenig bekannt. Eines der Rätsel sind die drei Gemälde der hier abgebildeten Jugendlichen.“
Er schloss das Buch.
Sie saßen schweigend da. Das Gehörte musste erst einmal verarbeitet werden. Tom und Vinc erwarteten weitere Erklärungen.
„Ich sollte euch die merkwürdige Begegnung mit diesem Buch schildern. Sie begann unter eigenartigen Umständen. Ich war gestern in der Bibliothek, um mir einige Lektüren auszusuchen. Als ich in den Gang der Märchen und Sagen kam, fiel mir plötzlich dieses Buch vor die Füße. Ich nahm an, dass es nicht richtig reingestellt wurde. Ich interessierte mich schon länger für die von und zu Balduinsteins und daher nahm ich dieses Exemplar mit. Aber das Allermerkwürdigste ist, was anschließend geschah.“
Durch eine erneut eingelegte Pause erhöhte er die Spannung.
„Als ich das Buch bei der Bibliothekarin eintragen lassen wollte, fand sie den Titel nicht. Es gab ihn nicht in der Kartei. Ich will damit sagen: Es existiert dort kein Buch wie dieses hier. Sie meinte, es hätte jemand verloren. Ich bat sie, es mir zu überlassen, da ich mich für den Inhalt interessieren würde. Falls sich jemand melden sollte, der es vermisste, wüsste die Bibliothekarin, wo ich wohnte und sie könnte die Person zu mir schicken. Ich muss gestehen, es geschah eigentlich mehr aus Neugier, der Person zu begegnen, die es verlor, als dem Buch. Und noch etwas ist merkwürdig: Ich habe im Internet recherchiert und fand keinen Hinweis über den Autoren.“
Er stand auf und legte es auf den Tisch. „Ich mache eine Informationsreise nach Ägypten und bin daher in den Ferien nicht erreichbar. Wenn ihr Interesse daran habt, könnt ihr es durchlesen und es mir nach den Ferien zurückgeben.“
Vinc sah es ehrfürchtig an, dann hörten sie etwas Ungewöhnliches: „Habt ihr in den Ferien etwas vor?“, fragte Schwabbel.
Sie sagten, dass sie daheimbleiben wollten und so oft wie möglich im Baggersee vor der Stadt baden gehen.
„Dann habe ich eine Überraschung für euch.“ Sie hörten gespannt hin. „Ich spendiere euch einen Aufenthalt in der Jugendherberge auf dem Schloss der Balduinsteins.“ Diesmal blieb auch bei Vinc der Mund offen stehen. „Da staunt ihr?“
„Ja, aber ...“ Trotz wiederholter Versuche kamen nicht mehr Worte über Vincens Lippen. Er erkannte den Lehrer nicht wieder. Sieht so eine Bestrafung aus? Mit diesem Geschenk stellte er alles Logische auf den Kopf.
Der Lehrer sagte wieder nichts, sondern schritt zu dem Projektor, um ihn auszuschalten, weil er es vergessen hatte.
„Herr ... Herr“, stotterte Tom. Da Schwabbel sich noch außer Hörweite befand, zischte Tom zu Vinc: „Wie heißt er eigentlich richtig? Ich kenne ihn nur noch unter Schwabbel.“
„Seters, glaube ich“, raunte Vinc zurück.
„Glaubst du?“, fragte Tom argwöhnisch. „Na gut, wenn du meinst. Herr Seters ...„
„Santers“, korrigierte der Lehrer.
„Herr Santers. Wieso tun Sie das für uns? Ich meine diese Spende?“, fragte Tom.
Der Lehrer schritt an den Tisch der beiden, sah Tom an, dann meinte er: „Nicht als Belohnung. Ist eher als eine kleine Lektion und Strafe gedacht. Ihr sollt ein wenig für mich spionieren und einen Aufsatz über die Balduinsteins schreiben. Ich dachte da an mehrere Seiten,
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