Das geheimnisvolle Tuch
sich die Türe öffnete und Jim hereinkam, begleitet von einem kräftigen Jungen.
„Dachte ich mir doch, dass ihr zurückkommt, um die Sachen aus dem Versteck zu holen. Von wegen, das Zeug nach Hause genommen.“ Er sah sich um. „Wo sind denn die anderen?“
„Im Wald. Die beobachten das Haus“, bluffte Vinc, im Bewusstsein, dass er keine Chance gegen die beiden hatte.
„Ich will dir nix tun. Noch nicht. Gib die Sachen raus und du kannst abhauen.“ Er schritt zu Vinc.
„Soll ich ihm eine plätten?“, fragte der Schlägertyp.
„Lass mal. Hab keine Lust, ihn jammern zu hören. Wie ich bereits schon sagte: Morgen will ich das Zeug auf dem Schultisch haben. Und nun mach, dass du abhaust!“, befahl er Vinc.
Vinc kam der Aufforderung bereitwillig nach. Nicht aus Angst, denn er hätte es gerne gewusst, ob er gegen die eine Chance hätte, aber er fürchtete, es könnten dabei die Stäbe zerbrechen. Erst nachdem er vor der Tür war, fiel ihm auf, dass die sie gar nicht sahen, sonst hätten sie sicher nach deren Bedeutung gefragt, denn er hielt sie sichtbar in der Hand.
Am Abend geschah nichts Neues, wenn man davon absah, dass Tom die Hausaufgaben brachte und Vinc sie abschrieb.
***
Am nächsten Tag in der Schule beschäftigten sie sich in der ersten Stunde selbst, denn Schwabbel korrigierte in den eingesammelten Heften die Hausaufgaben. Ab und zu schielte er über seine Lesebrille, die weit vorne auf der Nase saß, und beobachtete argwöhnisch die Klasse. Er traute seinen Schülern zwar, aber Kontrolle war besser.
Die Mathematikaufgaben, die sie im Augenblick zu lösen hatten, behagten Tom gar nicht, so schielte er öfter in das Heft von Vinc. Seitdem er durch seinen erwischten Schlaf bei Schwabbel in Ungnade gefallen war, musste er vorsichtig sein, denn er stand unter seiner Beobachtung. Wenn auch der Lehrer tat, als sähe er ihn nicht, so entgingen ihm kleine Schandtaten, wie zum Beispiel das Abschreiben, nicht.
Am Ende der Stunde gab Schwabbel die korrigierten Hefte, begleitet mit einem Kommentar, an die einzelnen Schüler zurück.
„Herrschaften, euer Eifer hält sich zurzeit in Grenzen. Nicht gerade erbaulich, was ihr mir da abgeliefert habt. Aber angesichts der großen Hitze und euerem Drang zu dem Schwimmbad hin, sehe ich diese Umstände als etwaige Entschuldigung an.“
Dann stand er vor Vinc und seinem Freund. „Wie ist euer verwandtschaftliches Verhältnis?“ „Wir sind Freunde“, stotterte Vinc verlegen.
„Kann man nicht als Angehörigkeit einstufen. Obwohl Freundschaft mehr wert sein kann, als missratene Angehörige.“
Vinc und Tom sahen den Lehrer an, als sei er ein neues Weltwunder. Was sollte diese Frage? Er gab die Hefte zurück, schielte über die Lesebrille, die ihm fast bis an die Nasenspitze gerutscht war und sagte: „Ich bin überzeugt, ihr seid Zwillinge.“
Die Schüler, die gespannt auf Schwabbels Ausführungen lauschten, lachten. Er wartete, ohne den Blick von den Freunden abzuwenden, bis sich die Klasse beruhigt hatte.
Vinc und Tom wagten nicht, nach dem Grund dieser Feststellung zu fragen. Sie brauchten es nicht, denn sie ahnten bereits die Antwort: „Zumindest seid ihr Zwillinge im Geiste. Nach den Hausaufgaben zu urteilen wohnt ihr im selben Zimmer. Eigentlich müsste einer von euch die Aufgaben in Spiegelschrift im Heft stehen haben. Wenn ihr schon gegenseitig abschreibt, dann baut einen kleinen Unterschied ein, verändert etwas die Sätze. Ich habe keine Lust, diesen Schwachsinn zweimal lesen zu müssen. Note sechs ist nicht zu viel, oder was meint ihr? Sieben gibt es leider nicht. Die müsstet ihr allein für eure Dussligkeit bekommen.“
Er verteilte die restlichen Hefte an die übrigen Schüler.
Vinc und sein Freund wunderten sich, wegen der ertappten Sünde nicht bestraft zu werden. Am seinem Tisch angekommen setzte sich Schwabbel auf den Stuhl dahinter, sah längere Zeit schweigend in die Klasse. Er nahm die Brille von der Nase und putzte sie intensiv.
Vinc bekam ein beklemmendes Gefühl im Hinblick auf die Schweigsamkeit des Lehrers. Überlegte er sich eine Strafe?
Dann kamen die erlösenden Worte. „Morgen beginnen die großen Ferien. Angesichts dessen habe ich euere Aufgaben nicht benotet, aber ich würde einigen von euch raten, trotz des schönen Wetters sich auf den Hosenboden zu setzen, um zu lernen.“
Er stand auf und schritt auf Vinc und Tom zu. Er sah die beiden an und sprach wie in Geistesabwesenheit weiter: „Ich wünsche euch
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