Das geheimnisvolle Tuch
Besuchszeiten in das Schloss dürfen. Ich muss die Herrschaften bitten, zu den üblichen Zeiten wieder zu kommen. Sie können sie an der Tafel hier lesen.“ Er trat aus dem Türrahmen und deutete auf die Hinweise an der Wand. Dadurch, dass er die Türe weiter öffnete, sahen sie eine Gestalt in einem Flur schnell weghuschen, so als wolle sie nicht gesehen werden.
Der alte Diener trat einige Schritte vor. Denn dass er ein Lakai war, erkannten sie an seiner wohlgeformten Sprechweise sowie an der typischen Kleidung eines solchen, bestehend aus einem schwarzen Anzug, einem weißen Hemd mit einer Fliege und einer weißen Weste.
Da er durch das Heraustreten näher an die Kinder kam, sahen sie, wie der sonst so beherrschte Mann zusammenzuckte. Er ging näher an Vanessa und betrachtete sie genauer. Sie roch den Atem, der nach Knoblauch stank, und neigte ihren Kopf etwas zur Seite. Ohne etwas zu sagen, wiederholte der Alte die Betrachtung bei Vinc und Tom. Dann drehte er sich immer noch schweigend um. Er ging in das Halbdunkel des Hauses und verschwand. Die Tür ließ er offen.
„Versteht ihr das?“, fragte Vanessa verwundert.
Die Jungen zuckten die Achseln.
„Der hat nur nicht gesagt, dass wir warten sollen“, stellte Vinc fest.
„Woher willst du das denn wissen?“, fragte Tom ungläubig. Er trat näher an den Eingang, um besser in das Innere sehen zu können. „Kann es doch genau so gut vergessen haben. Bei seinem Alter. Der schläft doch bestimmt in einem Sarg.“
„Tom!“, rief Vanessa. Es war ein Tadel mit nur einem Wort. Sie mochte nicht, wenn jemand so von den alten Menschen sprach.
Tom trat noch einen Schritt weiter in das Innere. Er erschrak heftig, denn der Diener stand plötzlich vor ihm.
„Die Herrschaften mögen mir folgen!“, befahl er höflich, aber mit einem bestimmenden Unterton.
Sie betraten einen großen Vorraum, im Aussehen wie fast in allen Schlössern und Burgen. Der Boden war gefliest. Einige Fackeln, die an den Wänden befestigt waren, ließen die Schatten schauerlich groß auf den Flächen tanzen.
Rechts führte eine breite Holztreppe auf eine höher gelegene Plattform.
Der Diener gebot ihnen, in der Mitte der Halle stehen zu bleiben, um zu warten. Er verschwand schlurfend irgendwo hinter einer Türe. Das Flackern der Kienspäne erzeugte weiterhin eine unheimliche Atmosphäre.
Nach etlicher Zeit kam eine betagte Frau aus einer Türe und begrüßte die kleine Gruppe. „Entschuldigung, dass ich Sie habe warten lassen.“ Sie hörten auch in ihrer Begrüßung die Sprache der alten Fürstenhäuser. Die Kinder mit 'Sie' anzusprechen, bevorzugten gewöhnlich nur Dienerinnen des Adels im Mittelalter. Sie sah nicht so alt wie der Diener aus, aber ihr Gesicht war ebenfalls mit zarten Fältchen überzogen, während die Augen noch voller Energie leuchteten. „Bitte folgen Sie mir.“ Sie schritt zur Treppe, gefolgt von den Kindern. Mühsam trat sie von einer knarrenden Stufe auf die andere.
Oben angekommen sahen sie eine ebenso große Fläche wie die untere, an den abgrenzenden Wänden hingen Gemälde. Durch die hier herrschende Dunkelheit konnten sie nicht genau die abgebildeten Personen erkennen. Sie schenkte der Galerie keine Beachtung, sondern zeigte auf drei Türen, die sich zwischen einigen Porträts befanden. „Sie, meine Herrschaften, werden hier wohnen. Wie konnte man Sie nur in den Gesindehäusern einquartieren? Sie aus dem edlen Geblüt der Balduinsteins in einer gewöhnlichen Herberge!“ Sie erklärte es nicht, sondern schüttelte nur den Kopf. Die Kinder wagten nicht danach zu fragen, sie versuchten ihre Eindrücke wegen des Ungewöhnlichen, zu verkraften.
„Sie werden zum Mittagsmahl genau um zwölf Uhr von Hannes, dem Diener, abgeholt und zu Tisch begleitet. Sie können das Schloss nach dem Bankett besichtigen, bis dahin bitte ich Sie, hier in dieser Etage zu bleiben. Lockere Bodenbedeckungen könnten zu Unfällen führen. Ich bin die Kammerzofe und für Ihre Zimmer und für Sie verantwortlich. Ich darf mich nunmehr von Ihnen zurückziehen“. Sie wies jedem die Zimmer zu. Sie verschwand so schnell, dass es den Kindern wie ein Spuk vorkam. Die drei liefen an das Geländer, um nach unten zu sehen, wieso sie so schnell die Treppe hinabsteigen konnte, aber unten erblickten sie nur eine leere Fläche. Das Einzige, was ihnen auffiel, war das Muster auf dem Boden. Sie hatte irgendeine eigenartige Anordnung von hellen und dunklen Fliesen.
Als Vinc in sein zugewiesenes
Weitere Kostenlose Bücher