Das Geisterhaus
Kandidaten ansahen, einen
kurzsichtigen, charismatischen Herrn, der mit seinen
flammenden Reden die Menge aufwühlte, wurden sie von den
Gutsbesitzern bewacht, die sich, mit Jagdflinten und Stöcken
bewaffnet, rings um sie aufgestellt hatten. Sie lauschten den
Worten des Kandidaten respektvoll, wagten aber nicht einmal
eine Geste der Begrüßung anzudeuten. Nur ein Trupp
Tagelöhner, die mit Stecken und Pickeln gekommen waren,
schrien sich mit Hochrufen die Seele aus dem Leib, aber die
hatten nichts zu verlieren, sie waren Landstreicher, die ohne
feste Arbeit durchs Land zogen, sie hatten keine Familien,
keinen Herrn und keine Angst.
Kurz nach dem Tod und dem denkwürdigen Begräbnis Pedro
Garcías des Alten begann Bianca ihre Apfelfarben zu verlieren.
Sie bekam natürliche, nicht durch Anhalten des Atems
hervorgerufene Schwindelanfälle, und das Erbrechen am
Morgen war nicht von warmer Pökelbrühe verursacht. Sie schob
die Schuld auf das überreichliche Essen, es war die Zeit der
goldgelben Pfirsiche, der Aprikosen, der in Tontöpfen mit
Basilikum gedünsteten jungen Maiskolben, die Marmeladenund Einmachzeit. Aber Hungern, Kamillentee, Abführmittel und
Ruhe brachten keine Besserung. Sie verlor die Freude an der
Schule, der Krankenstation und selbst an ihren Krippenfiguren,
sie wurde schläfrig und träge und konnte stundenlang im
Schatten liegen und in den Himmel schauen, ohne sich für
irgend etwas zu interessieren. Das einzige, was sie nicht aufgab,
waren ihre nächtlichen Eskapaden durchs Fenster, wenn sie mit
Pedro Tercero García am Fluß verabredet war.
Jean de Satigny, der sich bei seiner romantischen Belagerung
nicht geschlagen gab, beobachtete sie. Aus Zartgefühl zog er
manchmal für einige Zeit in das Hotel im Dorf und begab sich
auf kurze Reisen in die Hauptstadt, und wenn er von dort
zurückkam, war er beladen mit Literatur über Chinchillas, ihre
Käfige, ihre Ernährung, ihre Krankheiten, ihre
Fortpflanzungsgewohnheiten, das Gerben ihres Fells, kurz alles
Wissenswerte über diese kleinen Biester und ihr Schicksal, sich
in Pelzmäntel zu verwandeln. Den größten Teil des Sommers
verbrachte der Graf auf den Drei Marien. Er war ein
zauberhafter Gast, wohlerzogen, ruhig und freundlich. Immer
hatte er einen liebenswürdigen Satz auf den Lippen, er lobte das
Essen, erfreute die Hausbewohner abends mit seinem
Klavierspiel im Salon, wo er mit Clara um die Wette Nocturnes
von Chopin spielte, und war ein unerschöpflicher Born von
Anekdoten. Er stand spät auf, verbrachte ein bis zwei Stunden
mit seiner Toilette, trabte zur Morgengymnastik rund ums Haus,
unbekümmert um den Spott ungehobelter Hintersassen, dann
plätscherte er in einem warmen Bad und verwendete viel Zeit
darauf, die für jede Gelegenheit passende Kleidung
auszuwählen. Es war verlorene Mühe, da niemand seine Eleganz
zu schätzen wußte, und oft war das einzige, was er mit seinen
englischen Reitanzügen, seinen Samtjacketts und Tirolerhüten
mit Fasanenfeder erreic hte, daß sich Clara in bester Absicht
erbot, ihm für das Landleben besser geeignete Kleider zu geben.
Jean verlor seine gute Laune nicht, er steckte das ironische
Lächeln des Hausherrn ebenso ein wie die abweisenden Mienen
Biancas und die ewige Zerstreuthe it Claras, die ihn nach einem
Jahr immer noch nach seinem Namen fragte. Er verstand sich
darauf, einige überaus schmackhafte und großartig präsentierte
französische Gerichte zu kochen, mit denen er, wenn Besuch
kam, seinen Beitrag leistete. Zum erstenmal sahen die Trueba
einen Mann, der sich für die Küche interessierte, aber in der
Annahme, dies sei eine europäische Sitte, wagten sie nicht, ihn
damit aufzuziehen, um nicht als unwissend dazustehen. Außer
Fachliteratur über Chinchillas brachte er von seinen Reisen in
die Hauptstadt auch Modejournale mit, Kriegsberichte, die in
billigen Ausgaben unters Volk gebracht wurden, um den Mythos
vom heroischen Soldaten zu verbreiten, und romantische
Romane für Bianca. Bei Gesprächen nach Tisch äußerte er sich
manchmal im Ton tödlicher Langeweile über die Sommer, die er
mit dem europäischen Adel in den Schlössern in Liechtenstein
oder an der Cöte d’Azur verbracht hatte, und versäumte nie,
darauf hinzuweisen, wie glücklich er sei, das alles gegen den
Charme Amerikas eingetauscht zu haben. Bianca fragte ihn,
warum er sich nicht die Karibik oder wenigstens ein Land mit
Mulattinnen, Kokospalmen und Trommeln
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