Das Geisterhaus
der Geste alles
Romantische nahm. Wenn er ein Kleid, ein Gericht oder eine
ihrer Krippenfiguren bewunderte, lag ein leicht ironischer
Unterton in seiner Stimme, der mehrere Auslegungen des Satzes
zuließ. Wenn er ihr Blumen pflückte oder ihr aufs Pferd half, tat
er es mit einer Ungezwungenheit, die aus der Galanterie die
Hilfsbereitschaft eines Freundes machte. Immerhin ließ ihn
Bianca, um vorzubeugen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit
wissen, daß sie sich weder lebend noch tot mit ihm verheiraten
werde. Jean de Satigny lächelte sein strahlendes
Verführerlächeln, ohne etwas zu sagen, und Bianca konnte nicht
umhin festzustellen, daß er entschieden eleganter war als Pedro
Tercero García.
Blanca wußte nicht, daß Jean ihr nachspionierte. Er hatte sie
mehrere Male in Männerkleidern aus dem Fenster springen
sehen. Dann war er ihr eine Strecke gefolgt, bald aber, aus
Angst, in der Dunkelheit auf die Hunde zu stoßen, wieder
umgekehrt. Was jedoch ihr Ziel betraf, so hatte er feststellen
können, daß sie immer in Richtung Fluß ging.
Unterdessen kam Esteban Trueba in bezug auf die Chinchillas
zu keinem rechten Entschluß. Er war bereit, probeweise einen
Käfig mit einigen Paaren dieser Nagetiere aufzustellen, um in
kleinem Maßstab den großen Musterbetrieb zu erproben. Es war
das einzige Mal, daß Jean de Satigny mit aufgekrempelten
Ärmeln gesehen wurde. Die Chinchillas jedoch steckten sich
samt und sonders an einer für Ratten typischen Krankheit an und
starben binnen zwei Wochen. Man konnte nicht einmal ihre
Felle gerben, weil sie gedunkelt waren und Haare ließen wie ein
gebrühtes Huhn. Schaudernd betrachtete Jean die kleinen kahlen
Leichen mit den steifen Füßchen und weißen Augen, die alle
seine Hoffnungen, Esteban Trueba doch noch zu überreden,
über den Haufen warfen, da Estebans Begeisterung für die
Kürschnerei sich beim Anblick dieses Massensterbens
schlagartig gelegt hatte.
»Wäre diese Seuche im Musterbetrieb ausgebrochen, wäre ich
ruiniert«, schloß er.
Mit der Chinchillaseuche und Biancas Eskapaden hatte der
Graf mehrere Monate Zeit verloren. Er begann des Werbens
müde zu werden und fürchtete, Bianca werde den Zauber seiner
Person niemals entdecken. Er sah ein, daß sich die
Chinchillazucht so bald nicht würde verwirklichen lassen, und
beschloß, die Dinge lieber zu überstürzen, ehe ein anderer,
Schlauerer, kam und sich die Erbin schnappte. Außerdem
begann ihm Bianca zu gefallen, seit sie rundlicher wurde und
dieses Schmachtende bekam, das ihre bäuerischen Manieren
milderte. Er bevorzugte ruhige und üppige Frauen, und der
Anblick Biancas, wenn sie während der Siesta auf Kissen
gebettet lag und in den Himmel sah, erinnerte ihn an seine
Mutter. Manchmal rührte sie ihn sogar. An winzigen Details, die
alle anderen übersahen, lernte er erraten, wann Bianca einen
nächtlichen Ausflug an den Fluß plante. Sie aß dann nicht zu
Abend, zog sich, Kopfschmerzen vorschützend, frühzeitig
zurück, und in ihren Pupillen lag ein seltsamer Glanz, in ihren
Bewegungen eine Ungeduld und Sehnsucht, die nur er erkannte.
Eines Nachts beschloß er, ihr bis ans Ziel zu folgen, um dieser
sich scheinbar endlos hinziehenden Situation ein Ende zu
machen. Er war sicher, daß Bianca einen Liebhaber hatte,
glaubte aber nicht, daß es etwas Ernstliches sein könnte. Er, Jean
de Satigny, war durchaus nicht auf die Frage der
Jungfräulichkeit fixiert und hatte sie sich gar nicht erst gestellt,
als er beschloß, um ihre Hand anzuhalten. Was ihn an ihr
interessierte, war etwas anderes, und das konnte sie durch ein
kurzes Vergnügen im Flußbett nicht verlieren.
Nachdem Bianca in ihr Zimmer gegangen war und auch die
übrige Familie sich zurückgezogen hatte, blieb Jean de Satigny
im dunklen Salon sitzen und horchte auf die Geräusche im Haus,
bis seinen Berechnungen nach die Zeit gekommen war, wo
Bianca aus dem Fenster sprang. Er trat auf den Hof und stellte
sich unter die Bäume, um auf sie zu warten. Über eine halbe
Stunde stand er im Schatten, ohne daß etwas Ungewöhnliches
den Frieden der Nacht störte. Des Wartens müde, wollte er sich
eben zurückziehen, als er bemerkte, daß Biancas Fenster
offenstand. Da wurde ihm klar, daß sie durchs Fenster
gesprungen war, ehe er sich in den Garten gestellt hatte, um sie
abzupassen.
»Merde«, knurrte er.
Im stillen betend, daß die Hunde mit ihrem Bellen nicht das
ganze Haus weckten und nicht über ihn herfielen,
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