Das Geisterhaus
Zähne aus, die über den Boden rollten, und
ein Faden blutigen Speichels lief ihr über das Kinn auf den Hals.
Sobald sie sich aufrichten konnte, schob sie Esteban beiseite,
erhob sich unter Anstrengung und verließ das Arbeitszimmer,
bemüht, so aufrecht zu gehen, wie sie nur konnte. Auf der
anderen Seite der Tür stand Pedro Segundo García, der die
Schwankende eben noch auffangen konnte. Als sie ihn neben
sich wußte, ließ Clara sich gehen. Sie legte das verschwollene
Gesicht an die Brust dieses Mannes, der in den schwierigsten
Augenblicken ihres Lebens an ihrer Seite gestanden hatte, und
brach in Weinen aus. Das Hemd Pedro Segundo Garcías färbte
sich mit Blut.
Clara sprach nie mehr in ihrem Leben mit ihrem Mann. Sie
legte den durch die Heirat erworbenen Namen ab und zog den
goldenen Ehering aus, den ihr Trueba vor zwanzig Jahren an den
Finger gesteckt hatte, in jener denkwürdigen Nacht, in der
Barrabas, ein Schlachtermesser im Rücken, gestorben war.
Zwei Tage später verließen Clara und Bianca die Drei Marien
und fuhren in die Hauptstadt. Esteban blieb zurück, beschämt,
wütend und mit dem Gefühl, daß etwas in seinem Leben für
immer zerbrochen war.
Pedro Segundo fuhr die Patrona und ihre Tochter an den
Bahnhof. Er hatte beide Frauen seit jener Nacht nicht mehr
gesehen und verhielt sich still und scheu. Er brachte sie in ihr
Zugabteil, blieb dann stehen, den Hut in der Hand und mit
gesenkten Augen, und wußte nicht, wie er sich verabschieden
sollte. Clara umarmte ihn. Zuerst stand er steif und verwirrt da,
doch gleich darauf überwältigten ihn seine Gefühle, und er
wagte es, schüchtern die Arme um sie zu legen und ihr einen
hingehauchten Kuß aufs Haar zu geben. Durchs Fenster sahen
sie sich zum letzten Mal, und beiden standen Tränen in den
Augen. Der treue Verwalter kehrte heim in sein Ziegelhäuschen,
schnürte seine wenigen Habseligkeiten in ein Bündel, knüpfte
das bißchen Geld, das er sich in all seinen Dienstjahren gespart
hatte, in ein Taschentuch und ging. Trueba sah, wie er sich von
den Hintersassen verabschiedete und sein Pferd bestieg. Er
versuchte ihn zurückzuhalten, erklärte ihm, das Vorgefallene
habe mit ihm nichts zu tun, es sei nicht gerecht, daß er durch die
Schuld seines Sohnes seine Arbeit, seine Freunde, sein Haus und
seine Sicherheit verliere.
»Ich will nicht hier sein, wenn Sie meinen Sohn finden,
Patron«, waren die letzten Worte Pedro Segundo Garcías, ehe er
sein Pferd in Trab setzte und auf die Landstraße ritt.
Wie allein habe ich mich damals gefühlt! Ich wußte nicht, daß
mich die Einsamkeit nie mehr verlassen würde und daß in
meinem ganzen späteren Leben eine extravagante, närrische
Enkelin mit dem gleichen grünen Haar wie Rosa die einzige
Person sein würde, die mir noch einmal nahestand. Aber das war
erst viele Jahre später.
Nach Claras Abreise sah ich mich um und entdeckte viele
neue Gesichter auf den Drei Marien. Die alten Weggefährten
waren tot oder fortgegangen. Meine Frau und meine Tochter
hatte ich nicht mehr. Der Kontakt zu meinen Söhnen war
minimal. Meine Mutter, meine Schwester, die gute Nana, Pedro
Garcia der Alte waren tot. Auch an Rosa dachte ich als an einen
unvergessenen Schmerz. Mit Pedro Segundo García,
der
fünfunddreißig Jahre an meiner Seite gestanden hatte, konnte ich
nicht mehr rechnen. Mir war zum Heulen. Die Tränen liefen mir
von allein herunter, ich wischte sie mit beiden Händen weg, aber
es kamen neue. Geht doch alle zum Teufel! brüllte ich in den
dunklen Ecken des Hauses. Ich ging durch die leeren Zimmer,
ich trat in Claras Schlafzimmer und suchte in ihrem Schrank
oder ihrer Kommode ein Stück, das sie getragen hatte, um es mir
an die Nase zu halten und ihren Geruch nach frischer Wäsche zu
riechen. Ich legte mich in ihr Bett, steckte das Gesicht in ihr
Kissen, streichelte die Gegenstände, die sie auf dem Nachttisch
zurückgelassen hatte, und fühlte mich zutiefst verlassen.
Pedro Tercero García hatte Schuld an allem, was geschehen
war. Seinetwegen hatte sich Bianca von mir entfernt,
seinetwegen hatte ich Streit mit Clara gehabt, seinetwegen war
Pedro Segundo García vom Gut gegangen, seinetwegen sahen
mich die Hintersassen verstohlen an und tuschelten hinter
meinem Rücken. Er war immer ein Anführer gewesen, ich hätte
ihn gleich am Anfang mit Fußtritten davonjagen sollen. Aus
Rücksicht auf seinen Vater und seinen Großvater hatte ich Zeit
verstreichen
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