Das Geisterhaus
ausgesucht habe,
wenn er das Exotische suche, aber er behauptete, daß es auf der
ganzen Erde keinen angenehmeren Ort gebe als dieses
vergessene Land am Ende der Welt. Von seinem persönlichen
Leben sprach der Franzose nicht, es sei denn, um unmerklich
einige Anhaltspunkte zu geben, die es dem gewitzten
Gesprächspartner erlaubten, sich ein Bild von seiner großartigen
Vergange nheit, seinem unermeßlichen Reichtum und seiner
hochadligen Abstammung zu machen. Über seinen Stand, seine
Familie oder seine engere Heimat in Frankreich erfuhr man
nichts Genaues. Clara meinte, so viele Geheimnisse seien
gefährlich, und suchte ihnen mit ihren Tarotkarten auf den
Grund zu kommen, aber Jean ließ es nicht zu, daß man ihm die
Karten legte oder die Linien seiner Hand erforschte. Auch sein
Sternzeichen gab er nicht preis.
Esteban Trueba ließ das alles kalt. Ihm genügte es, daß der
Graf bereit war, ihm bei einer Partie Schach oder Domino die
Zeit zu vertreiben, daß er witzig und sympathisch war und daß
er ihn nie um Geld anpumpte. Die Langeweile auf dem Land,
wo man um fünf Uhr abends nichts mehr anfangen konnte, war
erträglicher geworden, seit Jean de Satigny im Hause weilte.
Außerdem machte es ihm Spaß, daß ihn die Nachbarn um diesen
vornehmen Gast auf den Drei Marien beneideten.
Es hatte sich herumgesprochen, daß Jean Bianca Trueba
heiraten wollte, was jedoch nicht verhinderte, daß er in den
Augen töchterverkuppelnder Mütter der bevorzugte Galan blieb.
Auch
Clara schätzte ihn, wenngleich ohne ehepolitische
Hintergedanken. Selbst Bianca gewöhnte sich an seine
Anwesenheit. Er war so zartfühlend und sanft im Umgang, daß
sie seinen Heiratsantrag allmählich vergaß. Am Ende, dachte
sie, war das nur eine Art gräflicher Scherz gewesen. Sie ging
wieder dazu über, die Silberleuchter hervorzuholen, den Tisch
mit dem englischen Porzellan zu decken und zum
nachmittäglichen Tee ihre städtischen Kleider anzuziehen.
Häufig lud Jean sie ein, mit ihm ins Dorf zu kommen oder ihn
bei seinen zahlreichen Besuchen in die Gesellschaft zu
begleiten. In diesen Fällen mußte Clara mitgehen, denn darin
war Esteban Trueba unerbittlich: er wollte nicht, daß seine
Tocher mit dem Franzosen allein gesehen wurde. Ohne Aufsicht
auf dem Gut spazierenzugehen, erlaubte er ihnen, vorausgesetzt,
daß sie sich nicht zu weit entfernten und vor Anbruch der
Dunkelheit wieder zurück waren. Wenn es darum ginge, die
Jungfräulichkeit ihrer Tochter zu bewahren, sei dies viel
gefährlicher, sagte Clara, als wenn sie mit Jean auf dem Gut der
Uzcátegui Tee trank, aber Esteban war fest überzeugt, daß sie
von Jean nichts zu befürchten hätte, da seine Absichten nobel
seien, während man sich vor den bösen Zungen in acht nehmen
müsse, die seine Tochter um ihren guten Ruf bringen konnten.
Die Landpartien auf dem Gut festigten die Freundschaft
zwischen Jean und Bianca. Beide liebten es, am Morgen
auszureiten, das Vesper in einem Korb und Jeans Gerätschaften
in mehreren Leinen- und Lederköfferchen verstaut. Der Graf
nutzte jeden Halt, um Bianca vor dem Hintergrund der
Landschaft zu fotografieren, obwohl sie sich dagegen sträubte,
weil sie sich irgendwie lächerlich vorkam und dieses Gefühl
auch bestätigt fand, wenn sie die Aufnahmen sah, auf denen ihr
Lächeln nicht das ihre und ihre Miene verklemmt und
unglücklich war, was Jean zufolge daher kam, daß sie unfähig
war, mit Natürlichkeit zu posieren, ihr zufolge jedoch daher, daß
er sie zwang, in gekünsteltsten Stellungen viele Sekunden lang
den Atem anzuhalten, bis die Platte lange genug belichtet war.
Meistens suchten sie sich einen schattigen Platz unter Bäumen,
breiteten eine Decke über das Gras und richteten sich darauf ein,
hier ein paar Stunden zu verbringen. Sie sprachen über Europa,
über Bücher, über Anekdoten aus der Familie Biancas oder über
Jeans Reisen. Sie schenkte ihm einen Band mit Versen des
großen chilenischen Dichters, und er war so begeistert, daß er
lange Passagen auswendig lernte und viele Gedichte ohne zu
stocken rezitieren konnte. Es sei das Beste, sagte er, was je an
Poesie geschrieben worden sei, selbst im Französischen, der
Sprache der Dichtung, gebe es nichts Vergleichbares. Über ihre
Gefühle sprachen sie nicht. Jean war aufmerksam, aber weder
schmachtend noch zudringlich, eher geschwisterlich und
scherzhaft. Wenn er ihr zum Abschied die Hand küßte, tat er es
mit dem Blick eines Schuljungen, was
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