Das Geisterhaus
schlug er den
Weg zum Fluß ein, den er Bianca mehr als einmal hatte nehmen
sehen. Er war es nicht gewöhnt, mit seinen feinen Schuhen über
gepflügte Erde zu gehen, über Steine und Pfützen zu springen,
aber die Nacht war hell, ein schöner Vollmond verbreitete einen
phantastischen Glanz über den Himmel, und sobald seine Angst,
die Hunde könnten kommen, vergangen war, konnte er die
Schönheit der Stunde würdigen. Er ging eine gute Viertelstunde,
ehe er die ersten Reihen Schilf am Ufer sah. Danach verdoppelte
er seine Vorsicht, pirschte sich in größter Heimlichkeit näher,
darauf bedacht, nicht auf Zweige zu treten, die ihn verraten
könnten. Der Mond spiegelte sich im kristallen glänzenden
Wasser, die Brise wiegte sanft das Schilf und die Wipfel der
Bäume. Es war vollkommen still, und für einen Augenblick
hatte er die Vorstellung, den Traum eines Mondsüchtigen zu
träumen, der ging und ging, ohne voranzukommen, immer an
derselben verwunschenen Stelle, an der die Zeit stehengeblieben
war, und wenn er die Bäume zu berühren versuchte, die
aussahen, als könnte er sie mit der Hand erreichen, griff er ins
Leere. Er mußte sich zusammenreißen, um seinen gewohnten
Realitätssinn und Pragmatismus wiederzufinden. An einer
Biegung des Flusses, zwischen großen grauen, vom Mondlicht
beglänzten Steinen sah er sie so nahe, daß er sie fast berühren
konnte. Sie war nackt. Der Mann lag auf dem Rücken, das
Gesicht dem Himmel zugewandt, die Augen geschlossen, aber
Jean de Satigny hatte keine Mühe, in ihm den jungen
Jesuitenpater zu erkennen, der bei der Totenmesse für Pedro
Garcia den Alten ministriert hatte. Das überraschte ihn. Bianca
schlief, den Kopf auf den glatten, braunen Bauch ihres Geliebten
gebettet. Das zarte Mondlicht spiegelte metallische Reflexe auf
ihren Körper, und Jean de Satigny erschrak, als er die, wie ihm
schien, vollkommene Harmonie an Bianca gewahrte.
Es kostete den eleganten französischen Grafen fast eine
Minute, den traumartigen Zustand abzuschütteln, in den der
Anblick der Liebenden, die Stille der Nacht, der Mond und das
schweigende Land ihn versetzt hatten, und sich klarzumachen,
daß die Lage ernster war, als er angenommen hatte. An der
Haltung der Liebenden erkannte er die Hingabe zweier
Menschen, die sich sehr lange kannten. Das sah nicht nach
einem erotischen Sommerabenteuer aus, wie er gedacht hatte,
sondern nach einer in Fleisch und Geist vollzogenen Ehe. Jean
de Satigny konnte nicht wissen, daß Bianca und Pedro Tercero
so schon am ersten Tag ihrer Bekanntschaft und so alle Jahre
hindurch geschlafen hatten, sooft sie konnten, aber instinktiv
erriet er es.
Vorsichtig vermied er das geringste Geräusch, das sie wecken
konnte, machte kehrt und trat grübelnd, wie er die Sache
anpacken sollte, den Rückweg an. Als er am Hause ankam, hatte
er bereits beschlossen, Biancas Vater zu erzählen, was er
entdeckt hatte, denn der rasch auflodernde Zorn
Esteban
Truchas erschien ihm als das beste Mittel, das Problem zu lösen.
»Sollen die Eingeborenen das unter sich ausmachen«, dachte er.
Jean de Satigny wartete nicht bis zum Morgen. Er klopfte an
der Schlafzimmertür seines Gastgebers, und noch ehe dieser
ganz zu sich gekommen war, verpaßte er ihm seine Version der
Geschichte. Er habe wegen der Hitze nicht schlafen können,
sagte er, sei, um frischte Luft zu schnappen, unversehens an den
Fluß gegangen, und dort habe er das Niederschmetternde
gesehen: seine künftige Braut in den Armen des bärtigen
Jesuiten, beide nackt, schlafend im Mondlicht. Die Erwähnung
des Jesuiten lenkte Esteban für einen Augenblick von der Fährte
ab, denn daß seine Tochter mit Pater José Dulce Maria schlief,
konnte er sich nicht vorstellen, aber dann dämmerte ihm, was
geschehen war, und er begriff, daß er während der Beerdigung
des alten Garcia einem schlechten Scherz aufgesessen war und
der Verführer kein anderer als Pedro Tercero García sein
konnte, dieser verfluchte Hurensohn, der ihm das mit dem
Leben würde bezahlen müssen. In größter Eile fuhr er in seine
Hosen, zog die Stiefel an, warf sich die Flinte über die Schulter
und langte sich die Reitpeitsche von der Wand.
»Sie warten hier auf mich, Don«, befahl er dem Franzosen,
der durchaus nicht die Absicht hatte, ihn zu begleiten.
Esteban Trueba lief in den Stall und warf sich auf sein Pferd,
ohne es zu satteln. Schnaufend vor Empörung ritt er los, seine
geflickten Knochen ächzten
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