Das Geisterhaus
sich von den Wänden gelöst, und Jaime lag unter ihnen. Sie
holten ihn heraus, er hatte nicht einmal einen Kratzer. Während
Clara die Bücher abnahm, fiel ihr das Erdbeben wieder ein, und
sie dachte, daß sie diesen Augenblick schon einmal erlebt hatte.
Dieses, immerhin, gab Gelegenheit, die Bude einmal
abzustauben und das Ungeziefer mit dem Besen auszutreiben.
Ein Anlaß, seinen Blick so einzustellen, daß er die
Wirklichkeit seines Hauses wahrnahm, war für
Jaime nur
gegeben, wenn er
Amanda an der Hand seines Bruders
vorbeigehen sah. Er sprach sie selten an und errötete heftig,
wenn er es tat. Er mißtraute ihrem exotischen Äußeren und war
überzeugt, daß sie, wenn sie sich wie alle anderen frisieren und
sich die Schminke von den Augen wischen würde, wie eine
grüne Maus aussah. Dennoch mußte er sie immerzu ansehen.
Das Klappern der Armbänder, das sie überallhin begleitete,
störte ihn beim Studieren, und er mußte sich ungeheuer
anstrengen, um ihr nicht wie ein hypnotisiertes Hündchen
durchs ganze Haus nachzulaufen. Allein, auf dem Bett liegend,
ohne sich auf die Lektüre konzentrieren zu können, sah er
Amanda nackt vor sich, eingehüllt in ihr schwarzes Haar, mit all
ihrem klappernden Schmuck, wie ein Götzenbild. Jaime war ein
Einzelgänger. Aus dem scheuen Kind war ein schüchterner
Mann geworden. Er liebte sich selbst nicht, und vielleicht war
das der Grund, weshalb er dachte, daß er die Liebe anderer nicht
verdiene. Schon über den kleinsten Beweis von Aufmerksamkeit
oder Dankbarkeit ihm gegenüber schämte er sich und litt.
Amanda verkörperte für ihn die Quintessenz alles Weiblichen
und, als
Nicolas’ Freundin, alles Verbotenen. Die freie,
liebevolle und abenteuerliche Persönlichkeit der jungen Frau
faszinierte ihn, und ihre äußere Ähnlichkeit mit einer
verkleideten Maus erweckte in ihm den stürmischen Wunsch,
sie zu beschützen. Er begehrte sie mit Schmerzen, wagte aber
nicht einmal in seinen heimlichsten Gedanken, es sich
einzugestehen.
Amanda kam zu dieser Zeit häufig ins Haus der Trueba. Sie
hatte bei der Zeitung eine flexible Arbeitszeit, und sooft sie
konnte, kam sie mit ihrem Bruder Miguel in das große Eckhaus,
ohne daß beider Anwesenheit in dem immer mit Menschen und
Geschäftigkeit erfüllten Haus auffiel. Miguel dürfte damals fünf
Jahre alt gewesen sein, er war still und sauber und stellte keinen
Unfug an. Er verschmolz so sehr mit den Tapetenmustern und
Möbeln, daß man ihn übersah. Er spielte allein im Garten oder
lief Clara, die er Mama nannte, durchs ganze Haus nach.
Deshalb und weil er Jaime Papa nannte, dachten alle, Amanda
und Miguel seien Waisenkinder. Amanda ging immer mit ihrem
Bruder, sie nahm ihn zur Arbeit mit und hatte ihn daran
gewöhnt, alles und zu jeder Stunde des Tages zu essen und sich
auch auf unbequemsten Unterlagen schlafen zu legen. Sie
umgab ihn mit einer leidenschaftlichen und wilden Zärtlichkeit,
kratzte ihn wie ein Hündchen, schrie ihn an, wenn sie sich
ärgerte, und schloß ihn danach in die Arme. Sie ließ es nicht zu,
daß irgend jemand ihren Bruder zurechtwies oder ihm Befehle
erteilte, duldete auch keine Kommentare über das seltsame
Leben, das sie ihn führen ließ, und verteidigte ihn wie eine
Löwin, auch wenn niemand die Absicht hatte, ihm ein Haar zu
krümmen. Die einzige, der sie erlaubte, sich über Miguels
Erziehung zu äußern, war Clara, die sie auch dazu überreden
konnte, ihn in die Schule zu schicken, damit er kein
analphabetischer Sonderling würde. Clara hielt nicht viel von
regelmäßigem Schulbesuch, aber im Falle Miguels, dachte sie,
seien ein paar Stunden Disziplin und Gesellschaft mit anderen
Kindern nötig. Sie selbst übernahm es, ihn anzumelden, die
Schulutensilien und die Uniform zu kaufen, und am ersten
Schultag ging sie ihn mit Amanda an der Schule abliefern. Vor
dem Tor fielen sich Amanda und Miguel weinend in die Arme,
und die Lehrerin konnte das Kind nicht von den Röcken seiner
Schwester losmachen, an die es sich, brüllend und mit Fußtritten
jeden wegstoßend, der sich ihm näherte, geklammert hatte. Mit
Hilfe Claras konnte die Lehrerin endlich das Kind ins Haus
ziehen, und die Schultür fiel hinter ihm ins Schloß. Amanda
blieb den ganzen Vormittag auf dem Gehsteig sitzen. Clara
leistete ihr Gesellschaft, weil sie sich schuldig fühlte, einem
anderen Menschen einen solchen Schmerz zugefügt zu haben,
und weil sie an der Weisheit ihrer guten Absichten zu
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