Das Geisterhaus
unnötige Vorsichtsmaßnahme, denn seine Frau hatte
praktisch keinerlei Interesse an dem, was um sie war, und schon
gar nicht an der Kunst des Fotografierens.
In dem Maße, in dem sie dicker wurde, entwickelte Bianca
eine orientalische Gelassenheit, an der alle Versuche ihres
Mannes, sie in die Gesellschaft einzuführen, mit ihm Feste zu
besuchen, im Wagen auszufahren oder sie für die Ausstattung
ihres neuen Heims zu begeistern, wirkungslos abprallten.
Schwerfällig, unbeholfen, einsam und ständig müde, suchte
Bianca Zuflucht beim Stricken oder Sticken. Einen großen Teil
des Tages verschlief sie, und in den wachen Stunden fabrizierte
sie winzige Wäschestücke für eine rosa Kinderausstattung, da
sie sicher war, daß sie ein Mädchen zur Welt bringen werde.
Wie früher ihre Mutter ihr gegenüber, entwickelte auch sie eine
Methode der Verständigung mit dem kleinen Geschöpf, das in
ihr entstand, und wandte sich in einem ununterbrochenen
stummen Dialog nach innen. In ihren Briefen beschrieb sie ihr
zurückgezogenes, melancholisches Leben, und wenn sie von
ihrem Gatten sprach, schilderte sie ihn stets in blinder
Sympathie als einen feinen, zartfühlenden und wohlerzogenen
Mann.
Ohne es zu beabsichtigen, begründete sie dadurch die
Legende von einem nahezu fürstlichen Jean de Satigny, wobei
sie die Tatsache, daß er Kokain schnupfte und abends Opium
rauchte, kurzerhand unterschlug, weil sie sicher war, daß ihre
Eltern das nicht verstehen würden. Sie hatte einen ganzen Flügel
des Hauses für sich. Hier hatte sie ihr Hauptquartier
aufgeschlagen, und hier hortete sie alles, was sie für die Geburt
ihres Kindes vorbereitete. Jean sagte, nicht einmal fünfzig
Kinder könnten all diese Wäsche tragen und mit dieser
Unmenge von Spielsachen spielen, aber Bianca hatte keine
andere Zerstreuung, als durch den kleinen Geschäftsteil der
Stadt zu gehen und alles zu kaufen, was sie an rosa
Kindersachen sah. Den Vormittag verbrachte sie mit dem
Besticken kleiner wollener Capes, dem Stricken von
Wollschühchen, dem Auskleiden des Körbchens, dem Ordnen
der Stöße von Hemdchen, Lätzchen und Windeln, dem Bügeln
der gestickten Bettwäsche. Nach der Siesta schrieb sie an ihre
Mutter, manchmal auch an ihren Bruder Jaime, und wenn die
Sonne unterging und es ein wenig kühler wurde, ging sie in der
Nähe des Hauses ein paar Schritte spazieren, um sic h die Füße
zu vertreten. Nachts traf sie ihren Mann im großen Eßzimmer
des Hauses, wo die in ihren Ecken stehenden Keramikneger der
Szene eine Bordellbeleuchtung verliehen. Sie setzten sich jeder
an ein Ende des Tischs, der mit einem langen Tischtuch und
kompletten Gedecken, Porzellan und Gläsern, gedeckt war und
geschmückt mit künstlichen Blumen, da es natürliche Blumen in
dieser unwirtlichen Gegend nicht gab. Bedient wurden sie
immer von demselben undurchdringlich schweigenden, ständig
die Kokakugel, die seine Nahrung war, im Mund hin- und
herschiebenden Indio. Er war kein gewöhnlicher Diener und
hatte in der inneren Organisation des Hauses keine besondere
Funktion. Bei Tisch bedienen war auch nicht seine Stärke, weil
er mit Schüsseln und Bestecken nicht umzugehen wußte und
ihnen am Ende das Essen hinwarf, wie es gerade kam. Bei
Gelegenheit mußte Bianca ihn darauf aufmerksam machen, die
Kartoffeln doch bitte nicht mit der Hand anzufassen, um sie
ihnen auf den Teller zu legen. Aber Jean de Satigny schätzte ihn
aus irgendeinem geheimnisvollen Grund und war dabei, ihn als
Assistent im Labor anzulernen.
»Wenn er nicht einmal wie ein Christenmensch sprechen
kann, wird er erst recht keine Aufnahmen machen können«,
bemerkte Bianca, als sie es erfuhr. Es war derselbe Indio, den
Bianca mit den Louis-XV-Schuhen gesehen zu haben glaubte.
Die ersten Monate ihres Lebens als verheiratete Frau verliefen
friedlich und langweilig. Biancas natürliche Neigung zu
Abgeschlossenheit und Einsamkeit verstärkte sich. Sie weigerte
sich, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, und Jean de
Satigny folgte schließlich allein den zahlreichen Einladungen,
die sie erhielten. Wenn er nach Hause kam, spottete er bei
Bianca über die Verschrobenheit dieser ranzigen, altvaterischen
Familien, wo die Señoritas noch Dueñas hatten und die Herren
Skapuliere trugen. Bianca konnte das müßige Leben führen, das
ihr am meisten lag, während ihr Mann sich den kleinen Freuden
hingab, die nur mit Geld zu haben sind und die er sich so lange
hatte versagen
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