Das Geisterhaus
springen.«
»Das wird nicht nötig sein, Kleines«, sagte Senator Trueba.
»Ich habe immer noch einflußreiche Freunde in diesem Land.«
Achtundvierzig Stunden später ging in Pedro Tercero Garcías
Zimmer die Tür auf, und statt Bianca stand Senator Trueba auf
der Schwelle. Der Flüchtling dachte, seine Stunde hätte
geschlagen, und in gewisser Weise war er froh darüber.
»Ich komme, um Sie hier herauszuholen«, sagte Trueba.
»Warum?« fragte Pedro Tercero.
»Weil Bianca mich darum gebeten hat«, antwortete der
andere.
»Gehen Sie zum Teufel«, stammelte Pedro Tercero.
»Schön, dahin gehen wir. Sie kommen mit.«
Beide lächelten sie gleichzeitig. Im Hof des Hauses wartete
die Silberlimousine eines nordischen Botschafters. Sie legten
Pedro Tercero, wie ein Bündel zusammengefaltet, in den
Kofferraum und deckten ihn mit Markttaschen voll Gemüse zu.
Auf den Sitzen nahmen Blanca, Alba, Senator Trueba und sein
Freund, der Botschafter, Platz. Der Chauffeur fuhr sie an die
Apostolische Nuntiatur. Sie passierten eine von Militärpolizei
besetzte Schranke, ohne aufgehalten zu werden. Vor dem Tor
der Nuntiatur standen doppelte Wachtposten, aber als sie
Senator Trueba erkannten und die Diplomatennummer des
Autos sahen, salutierten sie und ließen sie durch. Hinter der
Einfahrt, auf dem Territorium des Vatikans in Sicherheit, holten
sie Pedro
Tercero unter einem Berg von Salatblättern und
geplatzten Tomaten heraus. Sie führten ihn in das Büro des
Nuntius, der ihn erwartete, in seine Bischofssoutane gekleidet,
in der Hand einen brandneuen Passierschein, mit dem nicht nur
Pedro Tercero ins Ausland reisen konnte, sondern auch Bianca,
die beschlossen hatte, die seit ihrer Kindheit hintangestellte
Liebe im Exil auszuleben. Der Nuntius hieß beide willkommen.
Er war ein Bewunderer des Liedermachers und besaß alle seine
Platten.
Während der Priester und der nordische Botschafter über die
internationale Lage diskutierten, verabschiedete sich die
Familie. Bianca und Alba weinten untröstlich. Nie waren sie
getrennt gewesen. Esteban Trueba umarmte seine Tochter lange,
ohne Tränen, aber sein zusammengepreßter Mund zitterte von
der Anstrengung, das Schluchzen zu unterdrücken. »Ich bin
Ihnen kein guter Vater gewesen«, sagte er. »Glauben Sie, daß
Sie mir das Vergangene verzeihen und es vergessen können?«
»Ich habe Sie sehr lieb, Vater«, sagte Bianca, indem sie die
Arme um seinen Hals schlang, ihn verzweifelt an sich drückte
und schluchzte.
Dann wandte sich der Alte Pedro Tercero zu und blickte ihm
in die Augen. Er streckte ihm die Hand hin, konnte aber die des
anderen nicht drücken, weil ihm einige Finger der rechten Hand
fehlten. Da breitete er die Arme aus, und beide Männer
verabschiedeten sich mit einer engen Umarmung, endlich befreit
von dem Haß und dem Groll, die so viele Jahre ihr Dasein
verfinstert hatten.
»Ich werde auf Ihre Tochter aufpassen und versuchen, sie
glücklich zu machen,
Señor«, sagte Pedro
Tercero mit
gebrochener Stimme.
»Da bin ich ganz sicher. Geht in Frieden, Kinder«, murmelte
der alte Mann.
Senator Trueba blieb mit seiner Enkelin und einigen
Angestellten allein im Haus. Wenigstens glaubte er das. Doch
Alba hatte beschlossen, sich die Idee ihrer Mutter zu eigen zu
machen, und benutzte den leerstehenden Teil des Hauses, um
Leute für eine oder zwei Nächte darin zu verstecken, so lange,
bis sie einen sicheren Unterschlupf oder einen Weg gefunden
hatte, sie außer Landes zu bringen. Sie half denen, die im
Schatten lebten, die tagsüber im Stadtbetrieb untertauchten, die
aber bei Einbruch der Nacht versteckt werden mußten, jedesmal
an einen anderen Ort. Die gefährlichsten Stunden waren die
während der Ausgangssperre, wenn die Flüchtlinge nicht mehr
auf der Straße sein durften und die Polizei nach Belieben Jagd
auf sie machen konnte. Alba dachte, daß von allen Häusern das
ihres Großvaters das letzte wäre, das durchsucht werden würde.
Nach und nach verwandelte sie die leeren Zimmer in ein
Labyrinth heimlicher Winkel, in denen sie ihre Schützlinge
versteckte, manchmal ganze Familien. Senator Trueba benutzte
nur seine Bibliothek, das Bad und sein Schlafzimmer. Hier lebte
er zwischen seinen Mahagonimöbeln, viktorianischen Vitrinen
und Perserteppichen. Selbst für einen Mann, der so wenig zu
Gefühlsanwandlungen neigte wie er, wurde dieses düstere Haus
unheimlich: ein verborgenes Ungeheuer schien darin
umzugehen. Trueba konnte
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