Das Geisterhaus
Eimer stand, damit er seine Bedürfnisse
verrichten konnte. Die Zeit vertrieb er sich damit, Bücher von
Jaime zu lesen, die Bianca ihm heimlich brachte, auf die
Straßengeräusche oder das Geflüster eines auf niedrigste
Lautstärke gestellten Radios zu horchen. Bianca besorgte ihm
eine Gitarre, deren Saiten er mit einem Tuch unterlegte, damit
niemand ihn hörte, wenn er gedämpft Lieder über Witwen,
Waisen, Gefangene und Verschwundene komponierte. Er
klügelte einen systematischen Stundenplan aus, um seinen Tag
zu füllen, Gymnastik machen, lesen, Englisch lernen, Siesta
halten, Musik schreiben, wieder Gymnastik, aber auch so
blieben ihm endlose müßige Stunden, bis er endlich den
Schlüssel im Schloß hörte und Bianca hereinkam, die ihm
Zeitschriften, Essen und frisches Waschwasser brachte. Sie
liebten sich verzweifelt, erfanden neue, verbotene Formen der
Liebe, die Angst und Leidenschaft in halluzinatorische Reisen
zu den Sternen verwandelten. Bianca hatte sich schon mit dem
keuschen Leben, dem Alter und seinen wechselnden Gebrechen
abgefunden. Die neu aufflammende Liebe gab ihr eine zweite
Jugend. Das Leuchten ihrer Haut, der Rhythmus ihres Gangs
und die Kadenz ihrer Stimme akzentuierten sich. Nie war sie
schöner gewesen. Selbst ihrem Vater fiel es auf, und er schrieb
es dem Frieden des neuen Überflusses zu. »Seit Bianca nicht
mehr Schlange stehen muß, ist sie wie neugeboren«, sagte
Senator Trueba. Auch Alba bemerkte es. Sie beobachtete ihre
Mutter. Ihr seltsames Nachtwandeln erschien ihr ebenso
verdächtig wie ihre neue Manie, Essen mit auf ihr Zimmer zu
nehmen. Mehrmals nahm sie sich vor, ihr nachts
nachzuspionieren, aber die Müdigkeit nach ihren verschiedenen
Tröstungswerken war stärker, und wenn sie schlaflos im Bett
lag, fürchtete sie sich, durch die leeren Zimmer zu gehen, in
denen die Gespenster flüsterten.
Pedro Tercero wurde mager und verlor die gute Laune und die
Sanftmut, durch die er sich bisher ausgezeichnet hatte. Er
langweilte sich, verfluchte sein freiwilliges Gefängnis und
heulte vor Ungeduld, Nachrichten von seinen Freunden zu
bekommen. Nur die Anwesenheit Biancas beruhigte ihn. Wenn
sie das Zimmer betrat, stürzte er sich auf sie und umarmte sie
wie von Sinnen, um die Schrecken des Tages und die
Langeweile der Wochen zu vergessen. Der Gedanke, daß er ein
Verräter und feige sei, weil er das Los so vieler anderer nicht
teilte, und daß es ehrenhafter wäre, sich zu stellen und sein
Schicksal auf sich zu nehmen, wurde ihm zur Obsession. Bianca
versuchte, ihm diese Idee mit allen ihr zu Gebote stehenden
Argumenten auszureden, aber er schien sie nicht zu hören. Mit
der ganzen Kraft der wiedergefundenen Liebe versuchte sie ihn
zu halten, sie fütterte ihn wie ein Kind, sie schnitt ihm die Haare
und die Nägel, sie rasierte ihn. Zuletzt mußte sie ihm doch
Beruhigungsmittel ins Essen und Schlafmittel ins Trinkwasser
mischen, um ihm einen tiefen, verquälten Schlaf aufzuzwingen,
aus dem er mit trockenem Mund und traurigerem Herzen als
zuvor erwachte. Nach einigen Monaten wurde Bianca klar, daß
sie ihn nicht endlos gefangenhalten konnte, und sie verzichtete
auf ihren Plan, seinen Geist abzubauen, um einen
Dauergeliebten aus ihm zu machen. Sie begriff, daß er ihr
lebendigen Leibes dahinstarb, weil ihm die Freiheit wichtiger
war als die Liebe und weil es keine Wunderpille gab, die es
fertiggebracht hätte, diese Haltung zu ändern.
»Hilf mir, Papa«, bat Bianca Senator Trueba. »Ich muß ihn
aus dem Land bringen.«
Der alte Mann war vor Verblüffung wie gelähmt, und als er
seine Wut und seinen Haß suchte und sie nirgends finden
konnte, ging ihm auf, wie verbraucht er war. Er dachte an diesen
Bauern, der ein halbes Jahrhundert lang seine Tochter geliebt
hatte und von ihr geliebt worden war, und konnte keinen Grund
entdecken, ihn oder auch nur seinen Poncho, seinen
Sozialistenbart, seine Dickköpfigkeit oder seine vermaledeiten
Füchse verfolgenden Hennen zu hassen.
»Teufel, wir müssen ein Asyl für ihn suchen, denn wenn sie
ihn hier finden, sind wir alle geliefert«, war das einzige, was
ihm zu sagen einfiel.
Bianca warf ihm die Arme um den Hals und bedeckte ihn, wie
ein kleines Kind weinend, mit Küssen. Es war ihre erste
spontane Liebkosung für ihren Vater seit ihrer frühesten
Kindheit.
»Ich kann ihn in eine Botschaft bringen«, sagte Alba. »Wir
müssen nur den geeigneten Augenblick abwarten, und er muß
über eine Mauer
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