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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Operettenfrieden
verlor, fühlte sie sich verfolgt von den quälenden Gedanken, die
sie tagsüber verdrängte. Zu dieser Stunde fuhren nur Packwagen
voll Leichen und Verhafteter und Polizeiautos wie verirrte, in
der Dunkelheit der Sperrstunde heulende Wölfe durch die
Straßen. Alba zitterte in ihrem Bett. Die aufdringlichen
Gespenster so vieler Unbekannter erschienen ihr, sie hörte das
Haus wie eine alte Frau röcheln, sie horchte und spürte die
gefürchteten Geräusche in den Knochen: ein scharfes Bremsen
in der Ferne, das Zuschlagen von Autotüren, eine Schießerei,
trampelnde Stiefel, ein dumpfer Aufschrei. Dann kehrte die
Stille zurück bis zum Tagesanbruch, wenn die Stadt wieder
auflebte und die Sonne den nächtlichen Terror ausgelöscht zu
haben schien. Sie war nicht die einzige Schlaflose im Haus. Oft
traf sie ihren Großvater, der sich in Nachthemd und Pantoffeln,
älter und trauriger als am Tag, Seeräuberflüche murmelnd, eine
Tasse Fleischbrühe warm machte, weil ihm die Knochen und die
Seele schmerzten. Auch ihre Mutter kramte in der Küche herum
oder geisterte wie eine Mitternachtserscheinung durch die
leerstehenden Zimmer.
    So vergingen die Monate, und schließlich war für alle, selbst
für Senator Trueba, offenkundig, daß sich die Militärs die Macht
geholt hatten, um sie zu behalten, und nicht, um die Regierung
an die Politiker der Rechten abzugeben, die den Putsch
begünstigt hatten. Sie waren eine Rasse für sich, untereinander
verbrüdert, sie sprachen eine andere Sprache als die Zivilisten,
und jedes Gespräch mit ihnen war wie ein Dialog zwischen
Taubstummen, weil sie aufgrund ihres starren Ehrenkodex jede
auch nur im geringsten abweichende Meinung für Verrat hielten.
Trueba sah, daß sie messianische Pläne hatten, von denen die
Politiker ausgeschlossen waren. Er klagte, daß die Aktion der
Militärs, die eine marxistische Diktatur hatte abwenden sollen,
das Land zu einer sehr viel härteren und allem Anschein nach
auf die Dauer eines Jahrhunderts angelegten Diktatur verurteilte.
Zum erstenmal in seinem Leben gab Senator Trueba zu, daß er
sich geirrt hatte. Sie sahen ihn wie einen gebrochenen alten
Mann in seinem Sessel sitzen und still vor sich hin weinen. Er
weinte nicht über den Verlust der Macht. Er weinte über sein
Vaterland.
    Da hockte sich Bianca neben ihn, nahm seine Hand und
beichtete, daß in einem der verlassenen Zimmer, die Clara zur
Zeit der Geister hatte anbauen lassen, versteckt und einsam wie
ein Eremit, Pedro Tercero García lebe. Am Tag nach dem
Putsch waren Listen mit den Namen der Personen veröffentlicht
worden, die sich bei den Behörden melden sollten. Darunter war
auch der Name von Pedro Tercero García. Manche, die noch
immer dachten, daß in diesem Land nie etwas passieren würde,
gingen auf eigenen Füßen hin, um sich dem
Verteidigungsministerium zu stellen, und bezahlten es mit dem
Leben. Pedro Tercero hatte früher als die meisten ein Vorgefühl
von der Grausamkeit des neuen Regimes gehabt, vielleicht, weil
er in diesen drei Jahren die Streitkräfte kennengelernt hatte und
nicht mehr an das Märchen glaubte, daß sie anders wären als die
Militärs in anderen Ländern. Noch in der Putschnacht schlich er
sich während der Sperrstunde zum großen Eckhaus und rief
unter dem Fenster von Bianca. Als sie hinaussah, den Blick
getrübt von Migräne, erkannte sie ihn nicht, weil er sich rasiert
hatte und eine Brille trug.
    »Sie haben den Präsidenten umgebracht«, sagte Pedro Tercero
Garcia.
Bianca versteckte ihn in einem der leeren Zimmer. Sie
richtete einen behelfsmäßigen Unterschlupf her, nicht ahnend,
daß sie mehrere Monate lang für ihn würde sorgen müssen,
während die Soldaten auf der Suche nach ihm das Land
durchkämmten.
Sie hatte gedacht, daß niemand auf den Gedanken kommen
würde, Pedro Tercero García könnte sich im Haus von Senator
Trueba aufhalten, während dieser im gleichen Augenblick
stehend dem feierlichen Tedeum in der Kathedrale beiwohnte.
Für Bianca wurden diese Monate die schönsten ihres Lebens.
Für ihn jedoch vergingen die Stunden genauso langsam, wie
wenn er in einem Gefängnis gesessen hätte. Er verbrachte den
Tag zwischen vier Wänden hinter einer Tür, die abgeschlossen
wurde, damit niemand auf den Gedanken kam, sauberzumachen,
und bei herabgelassenen Jalousien und zugezogenen Vorhängen.
Nachts riß er das Fenster auf, damit Luft in den Raum kam, in
dem ein zugedeckter

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