Das Geisterhaus
sich, ihr nahe zu kommen, aber
Esteban gab nicht nach, und schließlich wurde Pancha mit ihr
fertig. Trueba organisierte einen Kramladen, ein bescheidenes
Lokal, in dem die Hintersassen kaufen konnten, was sie
brauchten, ohne den langen Weg nach San Lucas machen zu
müssen. Der Patron kaufte die Waren im großen und verkaufte
sie zum gleichen Preis an seine Arbeiter weiter. Er führte
Gutscheine ein, ein System, das anfangs als eine Art Kredit
funktionierte und mit der Zeit das Geld ersetzte. Mit den rosa
Zettelchen wurde alles im Kramladen gekauft und auch der
Lohn ausgezahlt. Zusätzlich zu den famosen rosa Zettelchen
hatte jeder Arbeiter Anrecht auf ein Stück Land, das er in der
Freizeit selbst bearbeiten konnte, auf sechs Hühner im Jahr,
einen Teil Saatgut, einen Teil seiner Ernte für den eigenen
Bedarf, Brot und Milch täglich und jährlich fünfzig Pesos, die
zu Weihnachten und am Nationalfeiertag an die Männer
ausgezahlt wurden. Die Frauen erhielten diese Gratifikation
nicht, obwohl sie die gleiche Arbeit wie die Männer
verrichteten, weil sie, Witwen ausgenommen, nicht als
Familienoberhaupt angesehen wurden. Die Seife zum Waschen,
die Wolle zum Weben und Hustensaft zur Kräftigung der
Lungen wurden kostenlos ausgegeben, weil
Esteban Trueba
keine schmutzigen, erkälteten oder kranken Leute um sich haben
wollte. Eines Tages las er in seiner Enzyklopädie einen Artikel
über die Vorzüge einer ausgewogenen Ernährung, und damit
begann seine Vitaminmanie, die ihn bis an sein Lebensende
nicht mehr verließ. Er bekam Tobsuchtsanfälle, sooft er sah, daß
die Bauern den Kindern nur das Brot, und die Milch und die
Eier den Schweinen gaben. Er veranstaltete obligatorische
Versammlungen im Schulhaus, bei denen er den Leuten von den
Vitaminen sprach und ihnen nebenbei auch die Nachrichten
mitteilte, die er aus dem krächzenden Kristalldetektor empfing.
Bald war er es leid, die Welle mit einem Draht einzufangen, also
bestellte er in der Hauptstadt ein transozeanisches
Rundfunkgerät mit zwei gewaltigen Batterien. Damit konnte er
im ohrenbetäubenden Gewirr der Stimmen aus Übersee ein paar
zusammenhängende Botschaften auffangen. So erfuhr er, daß in
Europa Krieg war. Auf einer Landkarte, die er an der Wandtafel
in der Schule aufhängte, markierte er mit Stecknadeln den
Vormarsch der Truppen. Die Bauern sahen ihm verdutzt zu, sie
begriffen nicht im entferntesten, wozu er eine Nadel erst in eine
blaue und am nächsten Tag in die grüne Farbe einstach. Sie
konnten sich die Welt im Maßstab eines an der Wandtafel
aufgehängten Stück Papiers ebensowenig vorstellen wie auf
Stecknadelköpfe reduzierte Heere. In Wirklichkeit ließen der
Krieg, die Erfindungen der Wissenschaft, der Fortschritt der
Industrie, der Goldpreis und die Extravaganzen der Mode sie
völlig kalt. Das waren Feenmärchen, die ihre dürftige Existenz
in nichts veränderten. Für dieses unerschrockene Publikum
waren die Nachrichten aus dem Rundfunk fern und fremd, und
der Apparat verlor rasch an Ansehen, als sich herausstellte, daß
er das Wetter nicht vorhersagen konnte. Der einzige, der sich für
die aus dem Äther aufgefischten Nachrichten interessierte, war
Pedro Segundo García.
Esteban Trueba verbrachte viele Stunden mit ihm, erst am
Kristalldetektor, dann am Batterieradio, in gemeinsamer
Erwartung des Wunders, daß eine anonyme und weit entfernte
Stimme sie an die Zivilisation anschloß. Das brachte sie
einander jedoch nicht näher. Trueba wußte, daß dieser schlichte
Bauer intelligenter war als die anderen. Er war der einzige, der
lesen konnte und fähig war, ein Gespräch von mehr als drei
Sätzen zu führen, aber Estebans maßloser Stolz ließ es nicht zu,
daß er gute Eigenschaften, über seine Tüchtigkeit als
Landarbeiter hinaus, an ihm gelten ließ. Überdies war er kein
Freund von Vertraulichkeiten gegenüber Untergebenen. Pedro
Segundo García seinerseits haßte ihn, wenngleich er dieses
quälende Gefühl, das ihm die Seele verbrannte und ihn
verwirrte, nie beim Namen nannte. Es war eine Mischung aus
Furcht und grollender Bewunderung. Er wußte im voraus, daß er
es nie wagen würde, ihm die Stirn zu bieten, weil er der Patron
war. Er würde seine Wutanfälle, seine verächtlichen Befehle,
seine Anmaßung für den Rest seines Lebens ertragen müssen.
Während der Jahre, in denen die Drei Marien sich selbst
überlassen waren, hatte er ganz natürlich den Oberbefehl über
den kleinen Stamm
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