Das Geisterhaus
nicht mit der Familie verwandt waren. Clara wußte
auf den ersten Blick, daß Getulio Amando ihren Vater bei dem
Geschäft mit den australischen Schafen betrügen würde: sie las
es in der Farbe seiner Aura. Sie schrieb es für ihren Vater auf,
aber der achtete nicht darauf, und als er sich der Vorhersage
seiner jüngsten Tochter erinnerte, war er die Hälfte seines
Vermögens los, und sein Geschäftspartner bereiste als reicher
Mann die Karibik mit einem Serail schönhintriger Negerinnen
und einem eigenen Schiff, um sich zu sonnen.
Claras Geschick, Gegenstände in Bewegung zu setzen, ohne
sie zu berühren, verging nicht mit der ersten Menstruation, wie
die Nana vorausgesagt hatte, sondern verstärkte sich noch. Sie
bekam eine solche Übung darin, daß sie die Klaviertasten bei
geschlossenem Deckel anschlagen konnte. Nur, das ganze
Instrument durchs Wohnzimmer zu schicken, wie es ihr Wunsch
war, gelang ihr nicht. In diese Extravaganzen steckte sie den
größten Teil ihrer Energie und ihrer Zeit. Sie entwickelte die
Fähigkeit, einen erstaunlich hohen Prozentsatz von Spielkarten
zu erraten, und erfand Unwirklichkeitsspiele als Unterhaltung
für ihre Geschwister. Ihr Vater untersagte ihr, die Zukunft aus
den Karten zu lesen und mutwillige Gespenster und Geister zu
beschwören, weil sie die übrige Familie verunsicherten und die
Dienerschaft in Angst und Schrecken versetzten, aber Nivea
begriff, daß ihre Tochter um so verrückter wurde, je mehr
Verbote und Schreckschüsse sie über sich ergehen lassen mußte,
so daß sie beschloß, sie mit ihren spiritistischen Kunststücken,
ihren Orakelspielen und ihrem Höhlenschweigen in Ruhe zu
lassen und lieber zu versuchen, sie bedingungslos so
anzunehmen, wie sie war. Clara wuchs wie eine wilde Pflanze
auf, allen Empfehlungen des Doktor Cuevas zum Trotz, der
kalte Bäder und Elektroschocks zur Behandlung
Geistesgestörter als neueste Errungenschaft aus Europa
mitgebracht hatte.
Barrabas begleitete das Mädchen Tag und Nacht, außer in den
Zeiten, in denen er sexuell aktiv wurde. Wie ein riesiger
Schatten war er immer um Clara herum, schweigend wie sie. Er
legte sich zu ihren Füßen nieder, wenn sie sich setzte, und
nachts schlief er neben ihr, schnaufend wie eine Lokomotive. Er
paßte sich derart seiner Herrin an, daß, wenn sie nachts im Haus
schlafwandelte, er ihr in gleicher Haltung folgte. Sie in
Mondnächten wie zwei im bleichen Licht wallende Gespenster
durch die Gänge wandeln zu sehen, war nichts Besonderes. Je
älter der Hund wurde, desto zerstreuter wurde er. Nie lernte er
die Durchsichtigkeit von Glas begreifen. In aufgeregten
Momenten rannte er, in der unschuldigen Absicht, eine Fliege zu
fangen, gegen die Fenster an und fiel unter dem Klirren
zerbrochenen Glases auf der ändern Seite hinunter, erstaunt und
traurig. Glas kam damals noch per Schiff aus Frankreich, und
die Manie des Hundes, sich gegen die Fensterscheiben zu
werfen, wurde ein Problem, bis Clara auf den Gedanken kam,
Katzen auf die Scheiben zu malen. Als Barrabas erwachsen
wurde, begnügte er sich nicht mehr damit, die Klavierbeine zu
bespringen, wie er es in seiner Kindheit getan hatte, aber sein
Fortpflanzungstrieb meldete sich nur noch, wenn eine läufige
Hündin in der Nähe war. Dann konnte ihn keine Kette und keine
Tür halten. Über alle Hindernisse hinweg rannte er auf die
Straße und verschwand für zwei, drei Tage. Wenn er
zurückkam, hing jedesmal die bedauernswerte Hündin an
seinem Hinterteil, fast schwebend, durchbohrt von seinem
riesigen Glied. Dann mußte man die Kinder entfernen, damit sie
das entsetzliche Schauspiel nicht sahen, wenn der Gärtner die
zwei Hunde mit Kübeln kalten Wassers übergoß, bis Barrabas
nach vielen Güssen, Fußtritten und anderen Schändlichkeiten
von seiner Liebsten loskam und sie sterbend im Hof zurückließ,
wo Severo ihr den Gnadenschuß geben mußte.
Sanft wuchs Clara im großen Drei- Höfe-Haus ihrer Eltern
heran, verwöhnt von den größeren Geschwistern, von Severo,
dem sie das liebste seiner Kinder war, von Nivea und von der
Nana, die ihre schaurigen Auftritte als Popanz mit zärtlichster
Fürsorge abwechselte. Fast alle ihre Geschwister hatten
geheiratet oder waren fortgegangen, die einen auf Reisen, die
anderen, um in der Provinz zu arbeiten, und das große Haus, das
eine so zahlreiche Familie beherbergt hatte, war leer geworden
und manches Zimmer abgesperrt. In der Zeit, die ihre Lehrer ihr
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