Das Geisterhaus
gemessen wurde,
die Gegenstände noch ihr Eigenleben hatten, die Geister sich mit
an den Tisch setzten und zu den Menschen sprachen, in der
Vergangenheit und Zukunft Teil ein und derselben Sache waren
und die Wirklichkeit der Gegenwart ein Kaleidoskop aus
ungeordneten Spiegeln, in denen alles geschehen konnte. Sooft
ich sie lese, entzücken mich die Hefte aus dieser Zeit, in denen
eine magische Welt beschrieben wird, die zu Ende gegangen ist.
Geschützt vor den Unbilden des Lebens, bewohnte Clara ein
von ihr selbst erfundenes Universum, wo die prosaische
Wahrheit der materiellen Dinge vermischt war mit der
aufregenden Wahrheit der Träume, in denen die Gesetze der
Physik und der Logik außer Kraft gesetzt waren. Clara war in
dieser Zeit ganz mit ihrer Phantasie beschäftigt, war begleitet
von den Geistern der Luft, des Wassers und der Erde und so
glücklich, daß sie neun Jahre lang kein Bedürfnis verspürte, zu
sprechen. Längst hatten alle die Hoffnung aufgegeben, sie je
wieder sprechen zu hören, als sie an ihrem neunzehnten
Geburtstag, nachdem sie die Kerzen auf ihrer Schokoladentorte
ausgeblasen hatte, eine Stimme aus dem Gewahrsam entließ, die
nach so langer Zeit wie ein verstimmtes Instrument klang.
»Ich werde bald heiraten«, sagte sie.
»Wen?« fragte Severo.
»Den Bräutigam von Rosa«, antwortete sie.
Da erst merkte die Familie, daß sie zum erstenmal wieder
gesprochen hatte. Das Wunder erschütterte das Haus bis in die
Grundfesten. Die ganze Familie weinte. Einer rief es dem
anderen zu, die Nachricht verbreitete sich durch die Stadt,
Doktor Cuevas wurde konsultiert und konnte es nicht glauben,
und in der Aufregung darüber, daß Clara gesprochen hatte,
vergaßen alle, was sie gesagt hatte. Erst zwei Monate später
erinnerten sie sich daran, als Esteban Trueba, den sie seit der
Beerdigung Rosas nicht mehr gesehen hatten, im Haus erschien
und um Claras Hand anhielt.
Esteban Trueba stieg am Bahnhof aus und nahm seine zwei
Koffer selbst in die Hand. Die Eisenkuppel, die in Anlehnung an
den Viktoriabahnhof von den Engländern konstruiert worden
war, in den Zeiten, als sie noch die Konzession auf die
chilenische Eisenbahn hatten, hatte sich nicht verändert, seit er
das letzte Mal hier gewesen war, dieselben schmutzigen
Glasscheiben, die schuheputzenden Kinder, die Stände mit
Hefekuchen und einheimischen Schleckereien und die
Lastträger in den dunklen Mützen, an denen noch die Insignien
der britischen Krone prangten, weil es niemandem eingefallen
war, sie gegen Hoheitszeichen in den chilenischen Farben
auszutauschen. Er nahm einen Wagen und gab dem Kutscher die
Adresse vom Haus seiner Mutter. Die Stadt erschien ihm bis zur
Unkenntlichkeit fremd vor all den modischen Neuerungen: diese
Frauen, die, o Wunder, ihre Waden zeigten, diese Männer in
kurzen Jacken und Hosen mit Bügelfalten, dieser Radau von
Arbeitern, die das Pflaster aufrissen und Bäume ausgruben, um
Masten einzupflanzen, die Masten entfernten, um Gebäude zu
errichten, die Gebäude einrissen, um Bäume zu pflanzen, dieser
Andrang von fliegenden Händlern, die gebrannte Erdnüsse oder
die wunderbaren Eigenschaften von Wetzsteinen oder eine
tanzende Puppe anpriesen, die an keinem Draht hing -Versuchen
Sie es selbst, reichen Sie ihr die Hand! - dieser Dunst von
Abfallhaufen, Bratöl, Fabriken, diese Kutschen rammenden
Automobile und diese Trambahnen mit Blutantrieb, wie man die
alten Pferdebahnen nannte, dazu dieses Schnaufen der Menge,
dieses Schurren von schnell laufenden Füßen, von eiligem
Kommen und Gehen, von Ungeduld und festem Stundenplan.
Esteban fühlte sich deprimiert. Er haßte diese Stadt mehr, als er
sich erinnerte, sie je gehaßt zu haben, er dachte an die
Landstraßen, an die nach Regenfällen gemessene Zeit, an die
Weite und Einsamkeit seiner Weiden, an die geruhsame Kühle
des Flusses und an sein stilles Haus.
»Eine Scheißstadt ist das«, stellte er fest.
Die Kutsche fuhr ihn im Trab an das Haus in dem er
aufgewachsen war. Er schauderte, als er sah, wie sehr das
Viertel in diesen Jahren heruntergekommen war, seit die
Reichen in höheren Lagen wohnen wollten als die anderen und
die Stadt sich bis an die Hänge der Kordilleren ausdehnte. Von
dem Platz, auf dem er als Kind gespielt hatte, war nichts
geblieben, ein wüstes Gelände, auf dem abgestellte Marktkarren
herumstanden und Haufen von Abfällen lagen, in denen
herrenlose Hunde scharrten. Sein Haus war verfallen. An der
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