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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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ließen, beschäftigte Clara sich selbst, indem sie las oder
Gegenstände bewegte, ohne sie zu berühren, oder Barrabas
spazierenführte oder Hellsehen übte oder strickte, die einzige
häusliche Kunst, die sie beherrschen lernte. Seit jenem
Gründonnerstag, an dem Pater Restrepo sie beschuldigt hatte,
eine Besessene zu sein, lag ein Schatten über ihrem Haupt, den
die Liebe ihrer Eltern und die Verschwiegenheit ihrer
Geschwister einzudämmen vermochten, aber das Gerücht von
ihren absonderlichen Gewohnheiten machte bei
Damengesellschaften im Flüsterton die Runde. Nivea sah recht
gut, daß niemand ihre Tochter einlud und daß selbst ihre
Cousinen und Vettern sie mieden. Sie setzte alles daran, den
Mangel an Freunden durch die eigene Beschäftigung mit dem
Kind zu ersetzen, und hatte damit Erfolg: trotz ihrer Einsamkeit
und ihrer Stummheit wuchs Clara so unbeschwert auf, daß sie
sich in späteren Jahren ihrer Kindheit als einer lichten Zeit
erinnerte. Immer unvergeßlich blieben ihr die Nachmittage, die
sie mit ihrer Mutter im Nähzimmer verbrachte, wo Nivea auf der
Nähmaschine Kleider für arme Leute nähte und ihrer Tochter
Familiengeschichten und Anekdoten erzählte. Sie zeigte ihr die
Daguerreotypien an den Wänden und erzählte ihr die
Vergangenheit.
    »Siehst du diesen ernsten Herrn mit dem
Seeräuberschnurrbart? Das ist Onkel Mateo, der wegen eines
Smaragdgeschäfts nach Brasilien fuhr, und dort hat eine feurige
Mulattin den bösen Blick auf ihn geworfen. Sein Haar ging aus,
seine Nägel fielen ab, alle seine Zähne wackelten. Er mußte
einen Medizinmann aufsuchen, einen Voodoo-Zauberer, der ein
pechschwarzer Neger war. Der gab ihm ein Amulett, und damit
wurden seine Zähne wieder fest, die Nägel wuchsen nach, und
er bekam sein Haar wieder. Sieh ihn dir an, Clara, er hat
dichteres Haar als ein Indio. Er ist der einzige Glatzkopf auf der
Welt, dem das Haar nachgewachsen ist.«
    Clara lächelte wortlos, und Nivea sprach weiter, weil sie an
das Schweigen ihrer Tochter gewöhnt war und andererseits
immer noch hoffte, daß sie bei all den Ideen, mit denen ihr der
Kopf vollgestopft wurde, früher oder später doch einmal eine
Frage stellen und die Sprache wiedererlangen würde.
    »Und dieser da«, sagte sie, »ist Onkel Juan. Ich mochte ihn
sehr. Einmal ließ er einen Furz, und das war sein Todesurteil,
ein großes Unglück. Es war bei einem Essen im Grünen, an
einem Tag voll Frühlingsduft. Wir, die Cousinen, in unseren
Musselinkleidern und Hüten mit Blumen und Bändern, die
jungen Männer in ihren besten Sonntagsanzügen. Juan zog sein
weißes Jackett aus - ich sehe ihn noch vor mir! -, krempelte
seine Ärmel hoch und hängte sich schneidig an den Ast eines
Baumes, um sich mit seinen Turnkünsten von Constanza
Andrade, der Weinkönigin, bewundern zu lassen, die ihn auf
den ersten Blick um seine Ruhe gebracht hatte. Juan machte
zwei tadellose Klimmzüge und einen kompletten Überschlag.
Bei seinem nächsten Schwung ließ er einen vernehmlichen
Wind fahren. Lach nicht, Ciarita! Es war schrecklich. Alle
schwiegen betreten, bis die Weinkönigin hemmungslos zu
lachen anfing. Juan, völlig bleich, zog seinen Rock an und
entfernte sich ohne Eile. Wir haben ihn nie wieder gesehen.
Überall, selbst in der Fremdenlegion, haben sie nach ihm
gesucht, bei allen Konsulaten nach ihm geforscht, aber nie hat
man irgend etwas über ihn erfahren können. Ich glaube, er ist
Missionar geworden und auf die Osterinseln gegangen, denn
weiter kann man nicht weggehen, um zu vergessen und
vergessen zu werden: die Osterinseln liegen abseits der
Schiffsrouten, auf den holländische n Seekarten sind sie nicht
einmal eingezeichnet. Den Leuten ist er seit damals als Juan
Furz im Gedächtnis geblieben.«
    Nivea zog ihre Tochter ans Fenster und zeigte ihr den
verdorrten Stamm einer Pappel.
»Das war einmal ein gewaltiger Baum«, sagte sie. »Ich ließ
ihn abhauen, ehe mein ältester Sohn geboren wurde. Er war so
hoch, daß man von der Spitze aus angeblich die ganze Stadt
überblicken konnte, aber der einzige, der ganz hinaufkam, hatte
keine Augen, um es zu sehen. Jeder Mann in unserer Familie
mußte den Baum hinauf, sobald er lange Hosen trug, um seinen
Mut zu beweisen. Es war wie ein Initiationsritual. Der Stamm
war voll von Markierungen, ich habe es selbst gesehen, als sie
ihn fällten. Von den ersten, schornsteindicken Ästen auf halber
Höhe an waren die Kerben zu sehen, die die

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