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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Kind noch, im Morgengrauen
aufstehen und zur Arbeit gehen mußte, die vor Freude
geschluchzt hatte, wenn er spätabends nach Hause kam,
geschluchzt, Mutter, meinetwegen.
Doña Ester streckte die Hand aus, aber nicht zur Begrüßung,
sondern in einer Geste der Abwehr.
     
»Kommen Sie nicht näher, Sohn« - und ihre Stimme war
unversehrt, wie er sie in Erinnerung hatte, die singende, gesunde
    Stimme eines jungen Mädchens.
»Es ist wegen des Geruchs«, erklärte Férula trocken. »Er
bleibt hängen.«
Esteban hob die zerschlissene Damastdecke auf und sah die
Beine seiner Mutter, zwei Säulen, dunkelviolett und dick wie
Elefantenbeine, mit Wunden bedeckt, in denen sich
Fliegenlarven und Würmer eingenistet hatten und Gänge
bohrten, zwei zu Lebzeiten verwesende Beine und zwei
aufgedunsene, blaßblaue Füße ohne Nägel an den Zehen,
platzend vom Eiter, vom schwarzen Blut, von der abscheulichen
Fauna, die sich von Ihrem Fle isch nährt, Mutter, o Gott, von
meinem Fleisch.
»Der Doktor will sie mir abschneiden, Sohn«, sagte Doña
Ester mit ihrer ruhigen Jungmädchenstimme, »aber ich bin zu
alt, und ich bin der Leiden müde, also ist es besser, ich sterbe.
Aber ich wollte nicht sterben, ohne Sie noch einmal zu sehen,
denn nach all diesen Jahren dachte ich, Sie wären tot und Ihre
Schwester hätte Ihre Briefe geschrieben, um mir den Schmerz
zu ersparen. Gehen Sie ans Licht, Sohn, damit ich Sie besser
sehen kann. Mein Gott, Sie sehen aus wie ein Wilder.«
»Das macht das Leben auf dem Land, Mama«, sagte er leise.
»Nun ja! Sie sehen recht kräftig aus. Wie alt sind Sie?«
»Fünfunddreißig.«
»Das richtige Alter, um zu heiraten und vernünftig zu werden,
damit ich in Frieden sterben kann.«
»Sie werden nicht sterben, Mama«, sagte Esteban flehentlich.
»Ich will sicher sein, daß ich Enkel bekomme, daß jemand da
sein wird, der mein Blut in den Adern hat und unseren Namen
trägt. Férula hat die Hoffnung zu heiraten aufgegeben, aber Sie
müssen sich eine Frau suchen. Eine anständige, christliche Frau.
Aber lassen Sie sich zuerst das Haar schneiden und den Bart
stutzen, hören Sie?«
Esteban nickte. Er kniete neben seiner Mutter nieder und legte
das Gesicht auf die aufgedunsene Hand, aber der Gestank ließ
ihn zurückfahren. Férula nahm ihn am Arm und zog ihn aus dem
alptraumhaften Zimmer. Draußen, den Geruch noch in der Nase,
atmete er tief durch, dann fühlte er, wie eine Wut, seine
altbekannte Wut, in ihm aufstieg, eine heiße Welle, die ihm das
Blut in die Augen trieb, ihm Matrosenflüche auf die Lippen
legte, die Wut auf die Vergangenheit, in der ich an Sie, Mutter,
nicht gedacht habe, Wut, weil er sie vernachlässigt, sie nicht
geliebt, nicht genügend gepflegt hatte, Wut auf den Hurensohn,
der er war, nein, verzeihen Sie, Mutter, das habe ich nicht sagen
wollen, zum Teufel, sie stirbt, die Alte, und ich kann nichts tun,
nicht einmal ihre Schmerzen lindern, nicht die Verwesung
aufhalten, nicht den schaurigen Geruch von ihr nehmen, diese
Todesbrühe, in der Sie kochen, Mutter.
Zwei Tage später starb Doña Ester in dem Marterbett, in dem
sie die letzten Jahre ihres Lebens gelitten hatte. Sie starb allein,
denn ihre Tochter
Férula war, wie alle Freitage, in die
Armensiedlungen im Barrio Misericordia gegangen, um den
Rosenkranz zu beten für die Notleidenden, die Gottlosen, die
Prostituierten und die Waisen, die sie mit Müll bewarfen, die
Nachttöpfe über ihr ausleerten und sie bespuckten, während sie,
kniend im Durchgang der Siedlung, in unermüdlicher Litanei
Vaterunser und Avemarias schrie, triefend vom Unrat der
Armen, dem Speichel der Gottlosen, den Abfällen der
Prostituierten und dem Müll der Waisen, weinend über die
Demütigung, Verzeihung erbittend für sie, die nicht wissen, was
sie tun, und mit dem Gefühl, daß ihre Knochen weich wurden,
eine tödliche Schwäche ihre Beine in Watte verwandelte, eine
innerliche Hochsommerhitze ihr Sünde zwischen die Beine
legte, nimmt diesen Kelch von mir, Herr, daß ihr Bauch in
Höllenflammen loderte, ach, vor Heiligkeit, vor Angst, Vater
unser, und führe mich nicht in Versuchung, Jesus.
Auch Esteban war nicht bei Doña Ester, als sie still in ihrem
Marterbett verschied. Er war die del Valle besuchen gegangen,
um zu erfahren, ob sie nicht noch eine unverheiratete Tochter
hatten, denn nach all den Jahren der Abwesenheit und der
Barbarei hatte er nicht gewußt, wo anfangen, um das
Versprechen einzulösen und seiner Mutter rechtmäßige Erben zu
geben,

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