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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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wackligen Haustür war unter den altmodischen, mit exotischen
Vögeln gemusterten Glasscheiben ein Türklopfer aus Messing,
eine weibliche Hand darstellend, die eine Kugel hielt. Er
klopfte, und die Zeit, die er warten mußte, erschien ihm endlos,
bis ihm endlich durch ruckhaftes Ziehen an einer Schnur, die
vom Türschloß bis zum oberen Ende der Stiege verlief, geöffnet
wurde. Seine Mutter wohnte im zweiten Stock, das Erdgeschoß
hatte sie an eine Knopffabrik vermietet.
Esteban stieg die
knarrenden Stufen hoch, die seit langem nicht mehr gewachst
worden waren. Eine uralte Dienerin, dessen Existenz er völlig
vergessen hatte, empfing ihn mit den gleichen weinerlichen
Liebesbezeigungen, mit denen sie ihn als Fünfzehnjährigen
empfangen hatte, wenn er aus dem Notariat heimkam, wo er
Überschreibungen und Vollmachten ihm völlig unbekannter
Leute kopierte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Nichts
hatte sich geändert, die Möbel standen noch an den gleichen
Stellen, aber alles erschien Esteban verändert: der Gang mit den
ausgetretenen Brettern, ein paar zerbrochene, mit Pappkarton
schlecht ausgebesserte Fensterscheiben, verstaubter,
kümmernder Farn in rostigen Blechbüchsen und schartigen
Blumentöpfen, ein modriger Geruch von Essen und Urin, der
ihm den Magen zuschnürte. Diese Armut! dachte Esteban, der
sich nicht erklären konnte, wohin all das Geld gekommen war,
das er seiner Schwester geschickt hatte, damit sie anständig
leben konnte.
    Férula kam heraus und begrüßte ihn mit einem traurigen
Zucken der Mundwinkel. Sie hatte sich sehr verändert, war nicht
mehr die stattliche Frau, die er Vorjahren zurückgelassen hatte.
Sie war abgemagert, die Nase erschien riesig in dem eckigen,
melancholisch und düster wirkenden Gesicht. Sie strömte einen
Geruch von Lavendel und abgetragenen Kleidern aus.
Schweigend sahen sie sich an.
    »Wie geht es Mama?« fragte Esteban.
»Komm mit, sie erwartet dich«, sagte sie.
Sie gingen durch eine Flucht von Zimmern, alle dunkel und
    hoch, Sterbezimmer mit schmalen Fenstern, verblaßt die
Blumen und schmachtenden Damen auf den vom Ruß und der
Zeit und der Armut ruinierten Tapeten. Von fern erklang die
Stimme eines Radiosprechers, der die Pillen von Doktor Ross
anpries, Pillen gegen Verstopfung, Schlaflosigkeit und
Mundgeruch, klein, aber wirksam. Vor der geschlossenen Tür
des Schlafzimmers von Doña Ester blieben sie stehen.
»Hier ist sie«, sagte Férula.
    Esteban öffnete die Tür und brauchte Sekunden, bis er in der
Dunkelheit etwas sehen konnte. Ein Geruch von Medikamenten
und Fäulnis schlug ihm entgegen, ein süßlicher Geruch von
Schweiß und Feuchtigkeit und Moder und von noch etwas
anderem, das er anfangs nicht identifizieren konnte, das sich
aber wie Pestgeruch auf ihn legte: der Geruch von verwesendem
Fleisch. Durch einen Spalt im angelehnten Fenster fiel ein
dünner Faden Licht. Esteban sah das breite Bett aus schwarzem,
gedrechseltem Holz, in dem sein Vater gestorben war und seine
Mutter seit ihrem Hochzeitstag schlief, den Betthimmel mit dem
Relief von Engeln, die roten, zerschlissenen Brokatvorhänge.
Seine Mutter, halb sitzend, war ein kompakter Block Fleisch,
eine Pyramide aus Fett, mit Lumpen bedeckt und endend in
einem kleinen, kahlen Kopf mit sanften und erstaunlich
lebhaften, unschuldigen blauen Augen. Die Arthritis hatte einen
Monolith aus ihr gemacht, sie konnte ihre Gelenke nicht mehr
bewegen, ihren Kopf nicht mehr drehen, ihre Finger waren
verkrümmt wie die Krallen eines Fossils, und um sich in ihrer
Stellung im Bett halten zu können, brauchte sie als
Gegengewicht eine Kiste im Rücken, die ihrerseits von einem
gegen die Wand gestemmten Balken gehalten wurde. An den
Schrammen, die er an der Wand hinterlassen hatte, konnte man
die Jahre ablesen: eine Leidensspur, ein Schmerzensweg.
    »Mama«, murmelte
Esteban, und seine Stimme brach in
verhaltenem Schluchzen, das mit einemmal alle traurigen
Erinnerungen auslöschte, die arme Kindheit, den ranzigen
Geruch, die eisigen Morgen und die fettigen Suppen, die Mutter
krank, der Vater fort und die Wut, die in seinen Eingeweiden
fraß, solange er denken konnte: er vergaß alles außer den
wenigen lichten Augenblicken, in denen diese unbekannte Frau,
die da im Bett lag, ihn auf ihren Armen gewiegt, seine Stirn
nach Fieber befühlt, ihm Wiegenlieder gesungen, sich mit ihm
über die Seiten eines Buches gebeugt hatte, die geschluchzt
hatte vor Kummer, weil er, ein

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