Das Geisterhaus
Praktiken
aufgenommen, sie sprach mit den Gespenstern und schrieb
stundenlang in ihre Lebensnotizhefte. Als sie das Interesse an
der Schule, der Schneiderwerkstatt und den feministischen
Versammlungen verlor, wußten alle, daß sie wieder schwanger
war.
»Das ist deine Schuld«, schrie Férula ihren Bruder an.
»Das will ich hoffen«, antwortete er.
Bald stand fest, daß Clara nicht imstande sein würde, die
Monate der Schwangerschaft auf dem Land zu verbringen und
im Dorf zu entbinden. Also wurde die Rückkehr in die
Hauptstadt vorbereitet. Das tröstete Férula ein wenig, die Claras
Schwangerschaft als einen ihr persönlich angetanen Tort
empfand. Sie reiste mit dem größten Teil des Gepäcks und den
zwei städtischen Dienstmädchen voraus, um das große Eckhaus
für die Ankunft Claras vorzubereiten. Zehn Tage später
begleitete
Esteban seine Frau und seine Tochter in die
Hauptstadt und ließ die Drei Marien wieder in den Händen
Pedro Segundo Garcías, der zum Verwalter aufgerückt war,
obwohl ihm daraus statt Privilegien nur mehr Arbeit erwuchs.
Die Reise von den Drei Marien nach Santiago erschöpfte
Claras Kräfte vollends. Sie wurde immer blasser und
asthmatischer, die Ringe unter ihren Augen vergrößerten sich.
Durch das Schaukeln erst der Kutsche, dann des Zuges, durch
den Staub auf der Landstraße und ihre natürliche Anfälligkeit
für Schwindel verlor sie zusehends die Energie, und ich konnte
ihr nicht helfen, denn sie wollte nicht angesprochen werden,
wenn es ihr schlecht ging. Als wir aus dem Zug stiegen, mußte
ich sie stützen, weil ihr die Beine versagten.
»Ich glaube, ich werde aufschweben«, sagte sie.
»Nicht hier«, schrie ich, entsetzt von dem Gedanken, sie
könnte sich über die Köpfe der Reisenden hinweg in die Lüfte
erheben und auf und davon fliegen.
Aber sie hatte sich nicht auf eine konkrete Levitation
bezogen, sondern gemeint, sie hätte jene höhere Ebene erreicht,
die ihr die Loslösung von ihren Beschwerden, der Last ihres
Bauchs und der knochentiefen Müdigkeit erlauben würde. Sie
trat in eine neue Schweigeperiode ein, die, glaube ich, mehrere
Monate dauerte, und bediente sich wieder ihrer Schiefertafel wie
in den Zeiten ihrer ersten Sprachlosigkeit. Diesmal ängstigte ich
mich nicht, denn ich nahm an, daß sie auch diesmal, wie nach
der Geburt Biancas, in die Normalität zurückfinden würde, und
andererseits hatte ich endlich begriffen, daß dieses Schweigen
die letzte, unverletzliche Zuflucht meiner Frau war und nicht,
wie Doktor Cuevas behauptete, eine Geistesgestörtheit. Férula
pflegte sie in der gleichen obsessiven Art und Weise, wie sie
früher meine Mutter gepflegt ha tte, sie behandelte sie wie eine
Invalidin, wollte sie nie allein lassen und vernachlässigte
darüber Bianca, die den ganzen Tag weinte, weil sie auf die Drei
Marien zurück wollte. Clara wandelte wie ein dicker, stiller
Schatten durchs Haus, gleichgültig wie ein Buddhist gegen ihre
Umgebung. Mich sah sie nicht einmal an, sie ging an mir
vorüber, als wäre ich ein Möbelstück, und wenn ich sie
ansprach, war sie geistesabwesend, als hätte sie mich nicht
gehört oder würde mich nicht kennen. Wir schliefen nicht mehr
zusammen. Die müßig in der Stadt verbrachten Tage und die
unwirkliche Atmosphäre in meinem Haus machten mich nervös.
Ich versuchte mich zu beschäftigen, aber das genügte mir nicht,
ständig war ich schlechter Laune. Ich ging alle Tage aus, um
meine Geschäfte zu überwachen. Damals begann ich, an der
Börse zu spekulieren, und studierte stundenlang das Auf und Ab
der internationalen Aktien, ich investierte, gründete
Gesellschaften, stieg in das Importgeschäft ein. Viele Stunden
verbrachte ich im Club. Ich fing an, mich für Politik zu
interessieren, selbst einem Turnverein trat ich bei, wo ein
riesenhafter Trainer mich Muskeln bewegen ließ, deren Existenz
in meinem Körper ich nicht einmal geahnt hatte. Es wurde mir
empfohlen, ich solle mich auch massieren lassen, aber das
mochte ich nie. Mich von käuflichen Händen berühren zu lassen
ist mir verhaßt. Das alles konnte meinen Tag jedoch nicht
ausfüllen, ich fühlte mich ungemütlich und gelangweilt, ich
wollte aufs Land zurück, wagte aber nicht, dieses Haus voll
hysterischer Frauen zu verlassen, das entschieden die
Anwesenheit eines vernünftigen Mannes verlangte. Clara wurde
zu dick. Ihr Bauch war so schwer, daß sie mit ihrem zarten
Knochengerüst ihn kaum mehr tragen konnte. Sie
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