Das Geisterhaus
Zivilisation, ich fahre zurück in die Stadt, ich will wie ein
Christenmensch leben, wie ich immer gelebt habe«, rief Férula
aus, als sie über den Vorfall sprechen konnte, und brach in
Tränen aus. Aber sie fuhr nicht. Sie wollte sich nicht von Clara
trennen, sie war an einem Punkt angelangt, wo sie selbst die
Luft anbetete, die Clara atmete, und obgleich sie keine
Gelegenheit mehr hatte, Clara zu baden oder bei ihr zu schlafen,
versuchte sie ihr doch an tausend kleinen Dingen ihre
Zärtlichkeit zu beweisen. Diese strenge, sich und anderen
gegenüber so unbeugsame Frau konnte mit Clara, manchmal
auch, durch Übertragung, mit Bianca, zart und heiter sein. Nur
Clara gegenüber erlaubte sie sich den Luxus, ihrem
übermächtigen Wunsch, zu dienen und geliebt zu werden,
nachzugeben, ihr gegenüber konnte sie, und sei es
unterschwellig, ihre ge heimsten und zartesten Sehnsüchte
äußern. In den langen Jahren der Einsamkeit und Traurigkeit
hatte sie ihre Emotionen gefiltert und ihre Gefühle geläutert, sie
reduzierend auf einige wenige großartige Leidenschaften, die sie
ganz ausfüllten. Anwandlungen kleinlichen Grolls, versteckten
Neides, Werke der Nächstenliebe, farblose Freundlichkeiten,
liebenswürdige Höflichkeit oder tägliche Rücksichtnahme waren
ihre Sache nicht. Sie war geschaffen für die große, einzige
Liebe, den maßlosen Haß, die apokalyptische Rache, das
erhabene Heldentum, aber es blieb ihr versagt, ihr Schicksal
nach dem Maßstab ihrer romantischen Berufung zu
verwirklichen. Das Leben, in welchem diese große, üppige, für
die Mutterschaft, ein tätiges Dasein und brennende Liebe
geschaffene Frau sich verzehrt hatte, war flach und grau
zwischen den vier Wänden eines Krankenzimmers, in elenden
Armensiedlungen und schrulligen Beichten verlaufen. Sie war
damals etwa vierzig Jahre alt. Dank ihrer prachtvollen Rasse
und ihrer fernen maurischen Vorfahren war ihre Haut noch glatt,
das Haar schwarz und seidig, bis auf eine weiße Strähne, die ihr
in die Stirn fiel, ihr Körper stark und schlank und ihr Gang
federnd wie der eines gesunden Menschen, aber die
Trostlosigkeit ihres Lebens ließ sie älter erscheinen. Ich habe
eine Fotografie
Férulas aus diesen Jahren gesehen,
aufgenommen bei einem Geburtstag Biancas, ein altes,
verblaßtes, sepiabraunes Foto, auf dem sie jedoch deutlich zu
sehen ist. Sie war eine königliche Matrone, aber mit einem
bitteren Zug im Gesicht, der ihre Tragödie ahnen läßt.
Wahrscheinlich waren die mit Clara verbrachten Jahre ihre
einzigen glücklichen gewesen, denn nur mit Clara konnte sie
sich geben, wie sie war. Clara war der Mensch, dem sie ihre
subtilsten Seelenregungen anvertraute, ihr konnte sie ihre
grenzenlose Fähigkeit zu Selbstaufopferung und Bewunderung
beweisen. Einmal fand sie den Mut, es ihr zu sagen, und Clara
schrieb in eines ihrer Lebensnotizhefte, daß Férula sie weit mehr
liebe, als sie es verdiene oder ihr vergelten könne. Dieser
maßlosen Liebe wegen wollte Férula die Drei Marien nicht
verlassen, nicht einmal, als die Ameisenplage hereinbrach, die
als ein Sausen auf den Weiden begann, als ein bedrohlicher
Schatten, der rasch dahinglitt und alles, Mais, Korn, Äpfel und
Maravilla, verschlang. Man übergoß sie mit Benzin, und zündete
es an, doch sie erschienen mit neuem Schwung. Die Bäume
wurden mit ungelöschtem Kalk bestrichen, aber sie krochen die
Stämme hoch, ohne innezuhalten, und verschonten nicht Birnen
noch Äpfel noch Orangen, sie fielen in den Gemüsegarten ein
und räumten mit den Melonen auf, sie liefen in die Molkerei,
und am Morgen war die Milch sauer und voll winziger Leichen,
sie krabbelten in die Hühnerställe und fraßen die Küken
lebendigen Leibes, klägliche Häufche n Federn und Knöchelchen
als Abfall hinterlassend. Sie legten im Haus ihre Wege an,
krochen durch die Wasserrohre, bemächtigten sich der
Speisekammer, alles, was gekocht wurde, mußte sofort gegessen
werden, denn stand es ein paar Minuten auf dem Tisch, kamen
sie in Prozessionen und verschlangen es. Pedro Segundo García
bekämpfte sie mit Wasser und mit Feuer, er vergrub mit
Bienenhonig getränkte Schwämme, damit sie, vom Süßen
angelockt, zusammenliefen und er sie bequem erledigen konnte,
aber alles war vergebens. Esteban Trueba ging ins Dorf und kam
beladen mit Pestiziden aller bekannten Firmen, in Pulverform,
flüssig und in Tabletten, zurück und verstreute so viel davon
nach allen Seiten, daß man kein
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