Das Geisterhaus
Stelle halten wollte, trat er
auf die Fußbremse, während der Beifahrer rasch aussteigen und
den Stein vor eines der Räder legen mußte. Das System
funktionierte recht gut, aber an jenem fatalen Sonntag, den ihnen
das Schicksal zu ihrem letzten bestimmt hatte, versagten die
Bremsen gänzlich, und ehe Nivea aus dem Wagen springen
konnte, um den Stein anzubringen, oder Severo manövrieren
konnte, rollte das Fahrzeug bergab.
Severo versuchte es
umzulenken oder auf eine andere Art zum Stehen zu bringen,
aber der Teufel war in die Maschine gefahren, die unaufhaltsam
dahinschoß, bis sie auf einen mit Baustahl beladenen Wagen
prallte. Eine der Stangen durchstieß die Windschutzscheibe und
enthauptete Nivea glatt. Ihr Kopf wurde durchs Fenster
geschleudert, und obwohl Polizei, Waldhüter und freiwillige
Helfer, die mit Hunden die Spur aufnahmen, zwei Tage lang
nach ihm suchten, wurde er nicht gefunden. Am dritten Tag
begannen die Leichen zu stinken und mußten unvollständig
beerdigt werden. Es gab ein prachtvolles Leichenbegängnis, an
dem der gesamte Stamm del Valle und eine unglaubliche Menge
von Freunden und Bekannten teilnahmen, dazu Abordnungen
der Frauenbewegung, die gekommen waren, um von den
sterblichen Überresten Niveas Abschied zu nehmen, die damals
als die erste chilenische Feministin galt und der ihre
ideologischen Widersacher nachsagten, daß sie keinen Grund
gehabt habe, ihren Kopf im Tode zu behalten, da sie ihn schon
zu Lebzeiten verloren hätte. Clara, im Haus eingeschlossen, von
Dienstboten umgeben, von Férula bewacht und von Doktor
Cuevas gedopt, nahm an der Beerdigung nicht teil. Aus
Rücksicht denen gegenüber, die ihr diesen letzten Schmerz
ersparen wollten, äußerte sie nichts, was darauf hätte schließen
lassen, daß sie die schauerliche Geschichte mit dem verlorenen
Kopf kannte, doch als die Beerdigung vorüber war und das
Leben wieder seinen gewohnten Gang zu gehen schien,
überredete sie Férula, sie auf der Suche nach ihm zu begleiten,
und es nützte nichts, daß ihre Schwägerin ihr noch mehr Tees
und Pillen gab: sie ließ von ihrem Vorhaben nicht ab. Férula gab
sich geschlagen, weil sie einsah, daß sie sich nicht länger darauf
berufen konnte, die Sache mit dem Kopf sei nur ein böser
Traum, und daß es klüger war, ihr bei der Ausführung ihres
Plans zu helfen, bevor die innere Unruhe sie gänzlich verstörte.
Sie warteten, bis Esteban Trueba aus dem Haus ging. Férula half
ihr beim Ankleiden und rief einen Mietwagen.
Die Anweisung, die Clara dem Chauffeur gab, war reichlich
unbestimmt.
»Fahren Sie nur zu, ich werde Ihnen den Weg zeigen«, sagte
sie, geleitet von ihrem Instinkt, das Unsichtbare zu sehen.
Sie ließen die Stadt hinter sich, kamen auf freies Gelände, wo
die Häuser weit auseinander standen und die Hügel und sanften
Täler begannen. Auf Anordnung Claras bogen sie in eine
Nebenstraße ein und fuhren zwischen Birken und
Zwiebelfeldern weiter, bis sie dem Chauffeur neben einem
Gebüsch zu halten befahl.
»Hier ist es«, sagte sie.
»Das kann nicht sein, wir sind viel zu weit vom Unfallort
entfernt«, zweifelte Férula.
»Hier ist es, sage ich dir«, beharrte Clara, zwängte sich
umständlich aus dem Auto und schaukelte ihren riesigen Bauch
vor sich her, gefolgt von ihrer Schwägerin, die Gebete
murmelte, und dem Chauffeur, der von Ziel und Zweck dieser
Fahrt keine Ahnung hatte. Sie versuchte, zwischen die Büsche
zu kriechen, aber das Gewicht der Zwillinge hinderte sie daran.
»Seien Sie so gut, gehen Sie da hinein und reichen Sie mir
den Kopf einer Dame, den Sie hier finden werden«, bat sie den
Chauffeur.
Der Mann zwängte sich unter das Dorngestrüpp und fand den
Kopf Niveas, der aussah wie eine Riesenmelone. Er packte ihn
am Haar und kroch damit zurück. Während er sich, an einen
nahen Baum gelehnt, übergab, säuberten Férula und Clara Nivea
von Erde und kleinen Steinchen, die ihr in Ohren, Nase und
Mund steckten, ordneten ihr das Haar, das ein wenig zerzaust
war, nur die Augen konnten sie ihr nicht schließen. Sie
wickelten den Kopf in einen Schal und fuhren zurück.
»Fahren Sie schnell, ich glaube, das Kind kommt«, sagte
Clara zum Chauffeur.
Sie kamen gerade noch rechtzeitig, um die Mutter in ihr Bett
zu bringen. Férula besorgte eilig die Vorbereitungen, während
ein Dienstmädchen nach dem Arzt und der Hebamme lief. Clara,
die durch das Schaukeln des Autos, die Aufregung der letzten
Tage und die Tränke von
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