Das Geisterhaus
Autounfall
umgekommen«, sagte er kurz. »Ich möchte nicht, daß Clara es
vor der Entbindung erfährt. Wir müssen eine Mauer der Zensur
um sie errichten, sie darf weder Zeitungen zu sehen bekommen
noch Rundfunk hören, noch Besuche empfangen. Paß auf die
Dienstboten auf, damit keiner etwas sagt.«
Seine guten Absichten scheiterten an der Kraft der
Vorahnungen Claras. In dieser Nacht träumte sie zum
zweitenmal, daß ihre Eltern durch ein Zwiebelfeld wanderten
und Nivea ohne Kopf ging, so daß sie den ganzen Vorfall
kannte, ohne Zeitung lesen oder Radio hören zu müssen. Sehr
erregt wachte sie auf und bat Férula, ihr beim Anziehen zu
helfen, sie müsse den Kopf ihrer Mutter suchen. Férula lief zu
Esteban, und dieser rief Doktor Cuevas, der ihr, selbst auf die
Gefahr hin, daß es den Zwillingen schadete, ein Gebräu für
Verrückte verabreichte, mit dem sie zwei Tage hätte schlafen
sollen, das aber bei ihr nicht die geringste Wirkung zeigte.
Das Ehepaar del Valle war so gestorben, wie Clara es
geträumt und wie Nivea selbst oft im Scherz ihrer beider Tod
vorausgesagt hatte.
»Eines Tages werden wir uns mit dieser Höllenmaschine den
Hals brechen«, sagte Nivea, auf das alte Automobil ihres
Mannes zeigend.
Severo del Valle hatte von klein auf eine Schwäche für
moderne Erfindungen, das Auto nicht ausgenommen. Zu einer
Zeit, da sich jedermann noch zu Fuß, in der Kutsche oder auf
dem Veloziped fortbewegte, kaufte er das erste Auto, das ins
Land kam und als Kuriosität in einem Schaufenster in der
Innenstadt ausgestellt wurde. Es war ein technisches
Wunderwerk, das zum sprachlosen Erstaunen der Fußgänger
und unter den Verwünschungen derjenigen unter ihnen, die es
im Vorüberfahren mit Dreck bespritzte oder in Staub einhüllte,
mit der mörderischen Geschwindigkeit von fünfzehn bis
zwanzig Stundenkilometern dahinbrauste. Anfangs wurde es als
eine öffentliche Gefahr verteufelt. Bedeutende Wissenschaftler
erklärten in den Zeitungen, daß der menschliche Organismus
einer Geschwindigkeit von zwanzig Kilometern in der Stunde
nicht gewachsen sei, und da dieses neuartige Produkt, das
Benzin, brennbar sei, könnte es eine Kettenreaktion auslösen,
dem die ganze Stadt zum Opfer fiele. Selbst die Kirche mischte
sich ein. Pater Restrepo, der seit dem bedauerlichen Vorfall mit
Clara in der Gründonnerstagsmesse die Familie del Valle im
Visier hatte, warf sich zum Hüter der guten Sitten auf und erhob
seine galicische Stimme gegen die »amicos rerum novarum«,
die Freunde so neumodischer Dinge, wie dieser satanische
Apparat eines war, und verglich ihn mit dem Feuerwagen, auf
dem der Prophet Elias gen Himmel gefahren war. Severo
kümmerte sich nicht um den Skandal, und wenig später folgten
andere Herren seinem Beispiel, bis der Anblick von Autos
nichts Neues mehr war. Er fuhr seinen Wagen zehn Jahre lang,
und als sich die Stadt mit moderneren Autos füllte, die
effizienter und sicherer waren, weigerte er sich, den seinen
gegen ein anderes Modell einzutauschen, aus dem gleichen
Grund, aus dem auch seine Frau ihre Kutschpferde nicht
aufgeben wollte, ehe sie nicht friedlich an Altersschwäche
starben. Der Sunbeam hatte Spitzenvorhänge und Kristallvasen,
in die Nivea frische Blumen zu stellen pflegte, er war innen mit
feinstem Holz und Juchten ausgestattet, und seine Messingteile
glänzten wie Gold. Obwohl in England gebaut, lief er unter dem
indianischen Namen Covadonga. Er war in der Tat perfekt, nur
die Bremsen funktionierten nie gut. Severo, der sich auf seine
Fähigkeiten als Mechaniker viel zugute hielt, nahm ihn
mehrmals auseinander, um den Fehler zu beheben, und
ebensooft gab er ihn dem Gran Cornudo, dem besten
Mechaniker in ganz Chile. Seinen Spitznamen verdankte der
Große Hahnrei einer Tragödie, die sein Leben überschattete.
Man erzählte sich, daß ihn seine Frau in einer stürmischen Nacht
verlassen hatte, angewidert, ihm Hörner aufzusetzen, ohne daß
er davon Notiz nahm, aber ehe sie ging, steckte sie ein
Schafsgehörn, das sie in einer Metzgerei bekommen hatte, auf
das Gitter vor seiner Mechanikerwerkstatt. Als der Italiener am
nächsten Tag zur Arbeit ging, traf er auf einen Schwärm von
Kindern und Nachbarn, die ihn verhöhnten. Das Drama tat
seinem beruflichen Prestige keinen Abbruch, aber die Bremsen
des Covadonga konnte auch er nicht reparieren.
Severo
entschied sich dafür, einen großen Stein im Wagen mitzuführen.
Wenn er nun an einer abschüssigen
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