Das Geisterhaus
durchs Fenster
davonfliegen, aber nichts dergleichen geschah. Mit der ihr
eigenen Gelassenheit sammelte Clara die Scherben auf, schien
die Hafenkneipenschimpfwörter, mit denen ihr Mann um sich
schmiß, zu überhören, und wartete, bis er aufgehört hatte zu
toben. Dann wünschte sie ihm mit einem lauen Kuß auf die
Wange eine gute Nacht und verließ, Bianca an der Hand mit
sich ziehend, das Zimmer.
Die Abwesenheit Pedro Terceros brachte Bianca nicht aus
ihrer Ruhe. Alle Tage ging sie an den Fluß und wartete. Sie
wußte, daß er die Nachricht von ihrer Rückkehr aufs Land
früher oder später erfahren und der Ruf der Liebe ihn erreichen
würde, wo immer er sich befand. So war es auch. Am fünften
Tag sah sie einen zerlumpten Kerl kommen, im Winterumhang,
einen breitkrempigen Hut auf dem Kopf und am Zügel einen
Esel hinter sich herziehend, der mit Küchengerät,
Kupferkesseln, großen Gußeisenpfannen, Blechtöpfen und
Kochlöffeln jeder Größe beladen war und um den Hals ein paar
Büchsen trug, deren Klappern sein Kommen zehn Minuten im
voraus ankündigte. Sie erkannte ihn nicht. Er sah wie ein armer
alter Mann aus, einer von diesen traurigen Hausierern, die in der
Provinz herumziehen und von Tür zu Tür ihre Waren anbieten.
Er blieb vor ihr stehen, nahm den Hut ab, und nun sah sie
zwischen der wilden Haarmähne und dem struppigen Bart die
schönen, glänzend schwarzen Augen. Der Esel mit seiner Last
klappernder Töpfe rupfte Gras, während Bianca und Pedro, den
Hunger und den Durst stillend, die sich in den Monaten des
Schweigens und der Trennung angesammelt hatten, verzweifelt
und stöhnend über Steine und Gestrüpp rollten. Danach lagen
sie umschlungen im Schilf am Ufer. Unter dem Geschwirr der
Libellen und dem Quaken der Frösche erzählte sie ihm, daß sie
sich Bananenschalen und Fließpapier in die Schuhe gestopft
hatte, um Fieber zu bekommen, daß sie so lange Kreide
geschluckt hatte, bis sie tatsächlich zu husten begann und die
Nonnen davon überzeugte, daß ihre Appetitlosigkeit und ihre
Blässe ein sicheres Anzeichen von Tuberkulose seien.
»Ich wollte bei dir sein«, sagte sie, ihn auf den Hals küssend.
Pedro Tercero berichtete ihr, was unterdessen auf der Welt
und in Chile geschehen war, er sprach ihr von dem fernen Krieg,
der die halbe Menschheit in mörderische Schlachten und den
Tod im Konzentrationslager stürzte und Tausende von Frauen
und Kindern zu Witwen und Waisen machte, er erzählte ihr von
den Arbeitern in Europa und Nordamerika, deren Rechte
respektiert würden, weil der Kampf von Gewerkschaften und
Sozialisten in früheren Jahrzehnten gerechtere Gesetze
erzwungen hätte, und von Republiken, wie sie sein sollten, in
denen die Machthaber nicht den Erdbebengeschädigten das
Milchpulver stehlen.
»Die letzten, die etwas merken, sind immer die Bauern, nie
erfahren wir, was anderswo geschieht. Alle hassen sie deinen
Vater, aber sie haben solche Angst vor ihm, daß sie unfähig
sind, sich zu organisieren und ihm die Stirn zu bieten. Verstehst
du das, Bianca?«
Sie verstand es, aber in diesem Augenblick interessierte sie
nichts, als seinen Geruch nach frischem Korn zu riechen, seine
Ohren zu lecken, die Finger in seinen dichten Bart zu stecken,
seine verliebten Seufzer zu hören. Sie hatte auch Angst um ihn.
Sie wußte, daß nicht nur ihr Vater ihm die versprochene Kugel
durch den Kopf jagen würde, sondern jeder Gutsbesitzer in der
Gegend mit Vergnügen dasselbe tun würde. Bianca erinnerte
Pedro Tercero an die Geschichte des Sozialistenführers, der vor
ein paar Jahren mit dem Rad durchs Land fuhr, um auf den
Gütern Flugblätter zu verteilen und die Hintersassen zu
organisieren, bis er eines Tages den Brüdern
Sánchez in die
Hände fiel, die ihn zu Tode prügelten und an einem
Telegraphenmast aufhängten, an einer Wegkreuzung, damit alle
ihn sehen konnten. Da schaukelte er einen Tag und eine Nacht
lang gegen den Himmel, bis die Feldgendarmen kamen und ihn
abnahmen. Um die Angelegenheit zu vertuschen, schoben sie
die Schuld auf die Indios im Reservat, obwohl jedermann wußte,
daß sie friedlich waren und bestimmt keinen Mann töteten,
wenn sie scho n Angst hatten, einer fremden Henne den Hals
umzudrehen. Die Brüder
Sánchez aber gruben ihn auf dem
Friedhof aus und stellten wieder die Leiche zur Schau, und das
war denn doch zuviel, um es den Indios anzuhängen. Doch
selbst da wagte das Gericht nicht einzugreifen, und der Tod des
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