Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
Schritte bedächtig weiter, diesmal ostwärts, vorbei am achteckigen aus Granit gefertigten Taufbecken. Ludwig folgte ihm widerwillig, jetzt schon fuchsteufelswild. Nur die Ehrfurcht vor diesen heiligen Hallen verbot es ihm, diesem ›Rotzlöffel, diesem italienischen Ausbund an Dreistigkeit‹ einmal ordentlich die Leviten zu lesen. Diese Zeitverschwendung! Was versprach sich der junge Geck nur davon, hier im Kloster und in der Kirche zu lustwandeln?
Als ob Sander die Gedanken seines Freundes gehört hätte, flüsterte er: »Dort, siehst du es auch?«, damit deutete er auf ein Hochgrab aus Marmor, das sich im Chor der Ludwigskapelle, die direkt an die Hallenkirche anschloss, befand. Unweigerlich musste Ludwig seinen Blick in die gezeigte Richtung wenden und vergaß für kurze Zeit seinen Groll. Demütig ging er näher durch den erhabenen mit Spitzbogen und Strebepfeilern ausgestatteten Raum, blickte zum Kreuzrippengewölbe und bewunderte die hohen Fenster, die das Licht in warmen Gelb-, Rot- und Blautönen auf den steinernen Fußboden zauberten.
Als beide Männer neben dem Grab zu stehen kamen und ihr Knie vor Ehrerbietung beugten, platzte Sander heraus: »Aber das ist sie gar nicht!«
»Wer bitte schön ist sie nicht? Sprich in ganzen Sätzen Sander!«, zischte Ludwig zurück.
»Na die, die ich suche«, antwortete Sander patzig.
Ludwig betrachtete das Grab von unten nach oben, die schön gehauene, mit Rankenwerk verzierte Basis, die kleinen Frauenfiguren am Sockel, die teilweise beteten, teilweise in unendlicher Trauer die Arme rangen. Dann blickte er hinauf, wo die lebensgroße Gestalt einer Frau, gebettet auf zwei Kissen und umringt von vier weiteren Gestalten, ruhig und friedlich zu schlafen schien. Ludwig war beeindruckt von der Schönheit des Marmors, vor seinem satten Glanz, der der Frauenfigur eine unnahbare Anmut verlieh. Ihre Züge waren entspannt, ihr Schleier und ihr vornehmes Gewand umhüllten ihre schlanke Gestalt. Mit ihrem rechten Arm umfing sie ein Kind, steif und schmal neben ihr liegend. Ludwig war gewiss, dass diese Dame in jungen Jahren im Kindbett gestorben war. Er schüttelte sich und zwang sich damit, wieder in der Gegenwart anzukommen. Verständnislos fragte er Sander: »Wen suchst du denn eigentlich hier?«
Der zeigte auf das steinerne Abbild der Frau und meinte: »Die nicht, ich suche eine Ältere! Wer das da ist, weiß ich gar nicht.«
»Darf ich den beiden Herren demütigst auf die Sprünge helfen?« Erschrocken fuhren Ludwig und Sander herum. Wie aus dem Nichts war eine dunkle Gestalt im Durchgang vom Langchor zur Ludwigskapelle aufgetaucht, groß und massig, sodass vom Chor gar kein Licht mehr in die Kapelle fallen konnte, und die beiden Männer daher nicht das Gesicht der Gestalt erkennen konnten. Doch im nächsten Augenblick trat die Person heraus aus dem Schatten und präsentierte sich als Minderer Bruder, die Hände in einem schwarzen Habit verborgen. Die furchtsamen Blicke aus weit aufgerissenen Augen der beiden Männer völlig ignorierend, fuhr dieser in einer monotonen, tiefen Stimme, die wohl schon viele Gebete und Psalmen hinter sich hatte, fort: »Sie haben die Ehre mit Blanche von Valois, die Enkelin von niemand Geringerem als Ludwig dem Heiligen von Frankreich.«
Betroffen nickte Ludwig, sah wieder kurz auf das Grabmal und senkte beschämt seinen Blick zu Boden. Sander hingegen reckte sein Kinn und meinte: »Gibt es noch andere hier?«
Ein leises Lächeln, etwas herablassend, umspielte die Mundwinkel des Mönchs: »Welche andere ?«
Genervt zischte Ludwig seinen Freund an: »Alessandro, du machst es schon wieder. Sprich in ganzen Sätzen und sag genau, was du wissen willst. Hier ist niemand zum Rätselraten aufgelegt.« Als ihn der Pater fragend ansah, verstummte er schnell. Sander, der sich nicht einschüchtern ließ, antwortete: »Ich suche das Grab der Gräfin von Tirol, sie ist vor nicht ganz zehn Jahren verstorben und hier beigesetzt worden.«
»Warum?«, kam es ruhig von diesem unerschütterlichen Mann mit der schwarzen Kutte.
»Nun, warum sie gestorben ist, kann ich nicht sagen, aber …«
»Warum sucht Ihr das Grab?« Etwas Bedrohliches mischte sich in den monotonen Singsang des Mönchs. Sander dachte einen winzig kleinen Augenblick zu lang nach, um glaubwürdig zu wirken, und meinte: »Für eine persönliche Andacht.«
»Eine persönliche Andacht also, so, so«, wieder der leichte Anflug eines Lächelns.
Mit einer ausgreifenden Geste, die den weiten
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