Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
mitziehen. Nur kurz blickte Ludwig noch einmal zur schwarzen Gestalt, die eigentümlich starr vor dem schmiedeeisernen Gitter stand, das den Aufgang zur Kanzel vom Kirchenraum abtrennte. Der Mann krallte sich förmlich mit einer Hand an die rosettengeschmückte Empore und ließ dabei den Mönch nicht aus den Augen. Auffallend waren auch die Finger seiner zweiten Hand, die sich unentwegt streckten und wieder zur Faust ballten. Ludwig spürte nicht nur Ungeduld, sondern mehr, Besessenheit, Gier, schwer beherrschbares Verlangen. Aber ach, das sollte ihn nicht weiter beschäftigen, und schleunigst schob er seinen jungen Freund weiter, dem großen Portal entgegen, bevor es sich Sander wieder überlegte und nach verborgenen Grabmälern, älteren Damen, seltsamen Wappen oder sonst etwas suchen wollte.
Draußen umfing die beiden sofort der eigentümliche Geruch eines feuchten Herbstnachmittags. Die letzten Sonnenstrahlen waren verflogen, und schon senkte sich langsam aber stetig dichter, feuchter Nebel über die Klosteranlage.
»Puhh«, Sander rümpfte die Nase, »da habe ich jetzt gar nichts erreicht, was bringt mir ein gemaltes Wappen, ich brauche schon mehr Kenntnisse!« Unwillig blickte er hinauf zum hohen Turm der Kirche, und Ludwig wartete wieder auf die unvermeidliche Bemerkung über das Wiener Wetter, auf die er auch gar nicht lang warten musste.
»Einfach greulich. Das soll ein goldener Herbst sein? Sieht aus wie Graupensuppe. In Lucca könnte ich noch draußen sitzen und meinen Roten trinken. Weißt du, Ludwig, das, was hier am unangenehmsten ist, das ist …«
»Ja, ich weiß, mein Freund«, entgegnete Ludwig verärgert und schob Sander hurtig weiter, »Wien ist gegen Lucca, Triest und alle anderen welschen Städte wie eine saure Gurke mit Blutwurst gegen Honigmelone mit Schinken, ich weiß, aber jetzt komm!«
Sander blickte erstaunt zu Ludwig und meinte: »Was bist du so sauer, Luigi. Warum hetzt du so, ich meine ja nur, wir haben hier Herbst und es ist wie …«
Zornig unterbrach ihn Ludwig: »Morgen ist Martini, Sander, der Herbst ist hier schon vorbei, und wenn ich bis Katharina meine Geschäfte in Gang bringen will, dann müssen wir jetzt laufen. Ich kann doch nur zur Zeit des Jahrmarktes mit den anderen Kaufleuten verhandeln, sonst muss ich all meine Waren an die Wiener verkaufen. Und Jahrmarkt ist nur zweimal im Jahr. Verdammter Stapel!««
»Aber da hast du ja noch ganze 15 Tage Zeit!«
»Die werd ich auch brauchen, wenn du weiter so dahinkriechst. Komm jetzt, da vorn die Straße da ist die Schaufellucke. Da laufen wir jetzt hin, dann weiter nach Sankt Michael und über den Graben in die Singerstraße.«
»Das soll eine gemütliche Stadt sein, Luigi? Du hetzt mich, als wären wir auf dem Jahrmarkt in Augsburg.«
»Da wirst du noch staunen, mein Junge. Von wegen hetzen, von wegen Jahrmarkt! Warte, bis es hier losgeht! Zwei Wochen lang nur feilschen, kaufen, verkaufen – du wirst dich wundern! Komm jetzt endlich.«
Raschen Schrittes umrundeten die beiden die Südseite des Klosters, debattierten weiter über die Länge des Weges, die späte Stunde und das miese Wetter und rannten prompt frontal in einen alten Mann, der es mindestens genauso eilig hatte wie sie selbst, nur in der entgegengesetzten Richtung. Nicht genug, dass Sander und Ludwig sofort den abgestandenen säuerlichen Geruch nach Schweiß vermischt mit Traubensaft in der Nase hatten, knurrte sie auch noch ein alter Köter mit gefletschten Zähnen an, der mehr als unappetitlich aussah mit seinem räudigem Fell und dickem, gelbem Sabber an der Schnauze.
Ludwig, im ersten Moment erschrocken, im zweiten wutschnaubend, breitete im nächsten Moment die Arme aus, grinste vom einen Ohr zum anderen und drückte diese alte, verlotterte Gestalt ganz fest an sein vornehmes, aus schwarzviolettem Samt gearbeitetes Wams.
»Barthel, du altes Haus, was freu ich mich, dich zu sehen!« Sein stinkendes Gegenüber löste sich freudig und schulterklopfend aus der festen Umarmung und zeigte grinsend seine spärlichen Zähne..
Umständlich beugte er sich zum Hund und meinte beruhigend: »A lass do die Bellerei, Maroni, des is da Vickerl, unser Gwürztandler!« Noch immer grinsend richtete er sich wieder auf und fragte: »Wos machst eigentlich do, i hab dacht, du müsstest schon längst bei der Hannerl sei!« Als er Ludwigs betretenes Gesicht sah, lachte er gutmütig und streckte warnend einen klebrigen Zeigefinger, über den kürzlich noch süßer
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