Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
sie ihre Beine hochlegen wollte, drang ein markerschütternder Schrei an ihr Ohr. Alarmiert sprang sie hoch, lief Richtung Tür und wäre fast mit Martha zusammengestoßen, die erschreckt rief. »Johanna, die Gretlin!«
»Um Gottes willen! Was ist passiert?«, Johanna schüttelte die Büßerin.
»Die Gretlin«, stotterte Martha, »die liegt zusammengekrümmt im Schuppen und schreit sich die Seele aus dem Leib. Wir haben sie gefunden, als wir vom Nachtgebet gekommen sind.« Martha verstummte, als sie das entsetzte Gesicht Johannas sah, und trat zur Seite. Johanna hetzte in den Schuppen und fand Gretlin im Stroh sitzend und die Hände über das Gesicht geschlagen. Neben ihr winselte Maroni. Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben und fragte vorsichtig: »Was ist nur mit dir los, mein Mädchen?« Langsam kauerte sie sich an die Seite der vor Angst zitternden jungen Frau. Irgendwie schaffte sie es, ihre Leibesfülle am strohbedeckten Boden unterzubringen und kurzerhand nahm sie die Jüngere in ihre Arme. »Gretlin, du kannst es mir doch sagen, was ist denn mit dir? Wovor fürchtest du dich so?«
»Das Böse kommt«, monoton und leise murmelte die junge Frau an der Schulter Johannas.
»Was denn Böses? Hier bei uns geschieht dir doch nichts!«
»Immer wieder kommt es, damals bei der Elsbeth, in der Kapelle und jetzt auch bei der Yrmel …« Gretlin riss sich los und war im Begriff, wieder zu schreien zu beginnen. Johanna versuchte krampfhaft, die Gedanken der jungen Frau auf anderes zu lenken. »Sag mal, Gretlin, warum bist du eigentlich zu den Minderen Brüdern gelaufen, als wir uns … gestritten haben … weißt schon, wegen dem Heiraten und so …?«
»Da kenn ich mich aus, weißt du!«, flüsterte Gretlin und beruhigte sich etwas, »mit der Elsbeth, da sind wir oft zum Turm spaziert. Schatzsuche haben wir das Spiel genannt.«
»Schatzsuche?«
»Ja, in der Kapelle, gleich beim mittleren Fenster, da wartete immer Nicolas auf uns! Der hat uns dann einen Schatz gegeben!«
»Was? Wann war das denn?«
»Weiß nicht, da war ich noch klein, aber es war so lustig. Ich hab dann nach der Schatzsuche immer Leckereien bekommen, Dörrzwetschken, Nüsse oder auch Honig manchmal.«, Gretlin lächelte bitter und kuschelte sich zur Erleichterung Johannas an sie, »deshalb bin ich dorthin gelaufen, ich wollte wieder klein sein, bei meiner Mutter sein, den lieben Nicolas sehen und mich auf etwas freuen. Aber stattdessen war das Böse da, hat da gelegen und wieder so gerochen! Und jetzt glauben alle, ich war’s! Ja ich weiß genau, wie ihr mich alle anschaut, der Barthel und du!« Zornfunkelnd mit verweinten Augen sah Gretlin zu Johanna auf.
Dann nahm sie ein Büschel Stroh und warf es der überraschten Köchin mitten ins Gesicht. »Da! Riechst du es nicht, da ist es, das Böse, ganz nah!« Panisch schlug Gretlin wieder die Hände vor das Gesicht und begann sich weinend hin und her zu wiegen. Maroni winselte wieder.
Johanna ließ von Gretlin ab, sackte müde und verzweifelt in sich zusammen und wusste nicht, wie sie dem ganzen Durcheinander aus Angst und Sorge Herr werden sollte. Sie hoffte, dass sie aus diesem Albtraum bald erwachen und sie die heile Welt der Küche und des Klosters wieder wie ein schützender Mantel umhüllen würde. Doch als sie endlich nach langem hin und her, nach gutem Zureden, nach Drohen und Schimpfen mit der weinenden Gretlin und der stinkenden Hündin in der Küche angekommen war, hoffte sie, dass sie endlich ein wenig zu sich finden, durchatmen und diesem Irrsinn ein Ende machen konnte. Nach einer langen Nacht an der Seite der zitternden Gretlin, in der Johanna mehr vor sich hin döste als sich wirklich auszuruhen, fuhr sie erschrocken hoch. Johanna ahnte mehr, als sie es sah. Es war wieder jemand verschwunden. Der Platz neben dem Ofen war leer, Maroni, die alte Hündin, war weg und tauchte auch nicht wieder auf, obwohl die Köchin das ganze Kloster durchsuchte und unentwegt ihren Namen rief.
*
Die Heilige Katharina meinte es in diesem Jahr gut mit den Wienern und schickte zu so früher Stunde schon etwas Tageslicht, das sich wie ein hellgrauer Schleier über die dunklen Dächer der Häuser legte. Sie schickte keinen kalten Wind, sondern nur ein frisches Lüfterl, und auch keine tiefhängenden Nebelwolken, sondern eben gar keine. Dank sei der Heiligen, denn jetzt Ende November hätte sie ja alle Möglichkeiten gehabt, von strengem Morgenfrost bis zum ersten Schnee. Aber so konnte sich der Zug
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