Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
und den Anfang des Trompetensignals, das den Dirnenlauf ankündigte.
Erschrocken starrte Johanna erst Krispin und dann Barthel an. Beide nickten. Krispin siegessicher, Barthel betroffen.
Mit einem einzigen Ruck befreite sich Johanna von den rotgefrorenen, runzeligen Klauen des Hauerknechts, umrundete mit einer Geschwindigkeit, die man ihr nicht zugetraut hätte, den Essiggurkerltisch und lief wie eine Verrückte zu den beiden Stangen, zwischen denen, aufgereiht wie die Glieder einer Kette, die Hübschlerinnen standen. Von Weitem schon schrie Johanna: »Dorthe, gib mir dein Tüchel, ich brauch des gelbe Tüchel!« Verdutzt drehte sich Dorthe um, blickte zu Johanna, die im Trab, der jedem Brauereipferd Ehre gemacht hätte, auf sie zu gestampft kam, und knöpfte seelenruhig ihr gelbes Tuch von der Achsel. Zu viel Eigentümliches war schon im Leben Dorthes passiert, um sich über so etwas aufzuregen. So murmelte sie nur: »Hast es dir doch überlegt, Johanna!«, und hielt ihr das Tuch entgegen. Im Vorüberlaufen schnappte sich Johanna den Fetzen und schlang ihn, noch immer laufend, um ihren Oberarm. Genau in diesem Augenblick war das Trompetensignal zu Ende, und die sechs Hübschlerinnen begannen nun ihrerseits zu laufen, affektiert und gespreizt lüfteten sie ihre Gewänder und ließen kichernd und gackernd vor Vergnügen nackte Körperteile blitzen. Doch erstaunt hielten sie in ihrem Tun inne, als sie von einer ältlichen, absolut übergewichtigen Frau in einer Kutte mit einem umgeschlungenen Hurentuch schnaufend wie ein Walross überholt wurden. Dem Großteil der Zuschauer entging jedoch diese Einlage, denn wer schaute auf einen von grobem grauem Tuch verdeckten Hintern, wenn gleich daneben sechs junge Popscherln posierten! Niemand. Niemand bis auf Barthel, der sich an der davoneilenden Johanna nicht sattsehen konnte. Der ihr mit verklärtem Blick solang nachsah, bis sie in den weitläufigen Weingärten hinter zahlreichen Rebstöcken nur mehr schwer zu erkennen war. Der sogar noch regungslos mit stolzer Miene dastand, bis man nur mehr ganz weit weg ein flatterndes gelbes Tuch eher erahnen als wirklich ausmachen konnte.
*
Er sah sie mit Abscheu. Diese grinsenden, siegestrunkenen Burschen. Er hasste sie, die Erfolgreichen und die Gefeierten. Er verabscheute Helden und er spuckte heimlich grauen Speichel vor ihre Füße, als sie die Wohnung des Bürgermeisters Holzkäufl unter dem Applaus der Anwesenden stürmten. Er verdrehte missbilligend die Augen, als sie mit satter Überlegenheit ihre Preise, das Scharlachtuch, den Barchent, die Armbrust und die Spansau präsentierten und sich beglückwünschen ließen. Er wollte gar nicht zuhören, als die Sieger ihren Weg über den oberen Rennweg schilderten, er wollte nichts davon wissen, dass sie an den Ufern der Wien schon ziemlich außer Atem waren, es interessierte ihn einen Dreck, wie froh sie waren, auf dem unteren Rennweg die Führung zu übernehmen, und er hielt sich die Ohren zu, als sie von ihrer unbändigen Freude erzählten, als Erster in Sankt Marx durch das Ziel gekommen zu sein. Er als ewiger Verlierer wich vor dem Duft der Sieger zurück wie eine räudige Katze vor der Essigessenz.
Aber er hatte gelernt in all den Jahren, er verstellte sich gut. Wenn sich schon ein Blick der Anwesenden in seine Ecke verirrte, so sah man nur einen ernsten jüngeren Mann, der höflich darauf wartete, was die Sieger des heutigen Scharlachrennens zum Besten gaben. Er konnte warten, er wusste, dass seine Zeit nah war, so viel schon hatte er geschafft! Wie diesen Schatten, den er so erfolgreich abgeschüttelt hatte. Da überzog ein Lächeln seine eigentümlichen Züge. Was dachte sich denn dieses Weib, ihm nachzuschleichen Tag und Nacht? Wie ein Hund, der einer Fährte folgt, schnüffelte sie um ihn herum, stumm und bedrohlich. Doch er hatte sich gewehrt, sie hatte Bekanntschaft gemacht mit seinen Klauen, mit seinem unerbittlichen Falkenzahn, stark wie ein Hammer, scharf wie eine Klinge. Da war er dann endlich verschwunden, der hartnäckige Schatten! Entspannt schlenderte er zur Tafel, die sich vor Köstlichkeiten bog und der bereits die Ratsherren und die Hofbediensteten fleißig zusprachen. Auf sechs Tischen, die in der mit buntem Laub geschmückten Wohnung des Bürgermeisters verteilt waren, schmausten die Gäste schon jetzt um zehn Uhr ihr üppiges Mittagsmahl aus knusprigen Braten, garnierten Pasteten, gefülltem Geflügel, süßer Mandelmilch und verführerischem Backwerk.
Weitere Kostenlose Bücher