Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
einstöckigen Haus, in dem Licht brannte, lief sie fast und nur leise hörte man sie fluchen: »Vermaledeiter Knöchel, damischer …« Angekommen, bückte sie sich rasch und warf Steine an die Fenster, die mit Haut bespannt waren, sodass ein leiseres oder lauteres Klacken, je nach der Größe ihrer Geschosse, zu hören war.
»Endlich«, murmelte die Frau, hielt sich mit beiden Händen den schmerzenden Rücken und sah, wie ein Fenster geöffnet wurde und ein verstrubbelter Kopf zu sehen war. »Schleich di, wir haben schon geschlossen, heb da deine Kraft für ein andermal auf!« Damit wurde das Fenster so schnell wieder zugemacht, dass die Frau draußen gar nicht dazu kam, etwas zu erwidern. »Geh, Schmarrn«, maulte sie, seufzte und begann von Neuem, Steine zu werfen. Als das Fenster wieder aufging, etwas heftiger, als zuvor, beeilte sie sich zu rufen: »Dorthe, ich bin’s! Geh lass mir rein!« Erstaunt kam die Stimme vom Fenster: »Mei, Hannerl, was tust denn so früh da bei uns! Geh auf die Hinterseite durch das kleine Türl, das Tor da hab i scho verriegelt, die Mannsbilder wissen sonst dar net, wann Schluss is!« Nickend machte sich Johanna auf den Weg, nicht ohne aufzustöhnen, als sie ihren wehen Knöchel belastete. Dorthe wartete schon am Hintereingang, und nach einer innigen Begrüßung mit zwei Schmatzern auf die Wangen saßen die beiden Frauen zusammen an einem rohen Tisch, der von leeren Tonkrügen, Bechern und Brettern mit Speiseresten übersät war. Mit einer Handbewegung meinte Dorthe: »Ich lass die Madln noch a bisserl schlafen, dann erst geht’s ans Aufräumen. War gestern ein guter Abend … viel zu tun, wennst noch weißt, was ich damit mein!«
»Ja, ja … kann ich mir vorstellen«, nickte Johanna und versuchte ihren Ekel zu verbergen.
»Warum kommst so früh, hast nimma schlafen können, so wie ich? Du, des is des Alter, ich sag dir’s …« Dorthe wiegte wissend den Kopf hin und her.
»Aber nein, ich war heut noch gar net im Bett.«
»Na, du Rumtreiberin! Erst brauchst das gelbe Tüchel von mir und dann findest net in die Federn? Was soll ich mir da denken, Hannerl? Ich dachte, du büßt und reust jetzt in der Singerstraßen, daweil treibt du es bunter als bei uns damals.« Dorthe lachte zahnlos, den Mund weit aufgerissen, die Haut runzlig, und einmal mehr erkannte Johanna, wie alt ihre Freundin inzwischen geworden war. Sehr sanft antwortete sie: »War ganz anders, Dorthe. Ich bin gestern nicht das Scharlachrennen gelaufen, sondern direkt zum Markusspital.«
»Was machst du bei den Depperten?«, fragte Dorthe ziemlich direkt.
»Geh, deppert sind wir ja alle – irgendwie. Das wär also kein Grund, aber«, Johanna legte ihre Hände auf die alten verschränkten Klauen der Alten und sagte mit einem strahlenden Lächeln, »ich hab mir meine Yrmel wieder geholt!«
»Ja was macht denn die bei den Depperten?«, fragte Dorthe erstaunt.
Schlagartig wurde Johanna ernst: »Überfallen haben sie sie. Zumindest sieht es so aus. Weißt, Würgemale am Hals, eine Stichwunde am Oberarm …«
»Mein Gott, Johanna!« Dorthe hob die Hand zum Mund und murmelte: »Was is denn nur los? Mein Gott, wenn ich da an die arme Elsbeth denk, damals vor so langer Zeit, die …«
Johanna winkte ab, wollte sie doch so gar nichts von Gretlins Mutter und deren schrecklichem Ende wissen, und noch viel weniger Dorthe, die jetzt die Verantwortung für so viele blutjunge Mädchen hatte, beunruhigen.
»Nein, nein, Yrmel hat Glück gehabt. Sie ist nicht schwer verletzt«, schwächte sie daher ab und dachte mit Schaudern an die letzte Nacht, als sie versuchte, das Ausmaß dessen, was Yrmel erlebt haben musste, zu ergründen. »Sagen tut sie halt nix, kann nichts sagen, weißt ja. Ich seh ihr nur an den Augen an, dass sie Fürchterliches erlebt haben muss.«
»Wie ist sie denn ins Siechenhaus gekommen, um Gottes willen?«, fragte Dorthe noch immer erschrocken.
»Mitten in den Weingärten haben sie sie gefunden mit aufgerissenem Mund und Schaum davor. Haben ja net gwusst, dass sie geheult hat und verzweifelt war, die dachten, die is rasend geworden.«
»Mei, die Arme, der kommt ja kein Laut über die Lippen, die konnte ja keinem sagen, mei …«, jammerte Dorthe.
»Gefunden haben sie sie erst, als die Maroni so fürchterlich geheult hat wie eine Wölfin, haben die Leute gmeint.«
»Die Maroni?«
»Ja, die alte Hündin, die hat’s aufspürt, unsere Yrmel. Weiß der Teufel, wie sie es geschafft hat, so weit zu
Weitere Kostenlose Bücher