Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
betrachtete das Blut, um seine Hand gleich wieder dort einzutauchen und von vorn mit diesem grausamen Spiel zu beginnen.
Seit den Morgenstunden konnte er an nichts anderes denken. Alles um ihn herum war ihm gleichgültig geworden, nur der Ruf nach Vergeltung dröhnte in seinem Kopf. Wie der Hammer des Hufschmieds, der immer wieder auf glühendes Metall traf, klang es in seinem Kopf: »Tod, Blut, Rache …« Es war sehr leicht für ihn, den Täter auszumachen. Er spürte es mehr als er es wusste, wer den Mord an seinem geliebten Vogel begangen hatte. Verräterisch war das überhebliche Lächeln, die versteckten Blicke, das neugierige Warten dieser Bestie. Doch er würde es ihm heimzahlen, diesem feigen, verschlagenen Schurken, der sich nicht zu minder war, einem edlen Vogel das Genick umzudrehen und ihn wie ein Rebhuhn verkehrt aufzuhängen. Diesen König der Lüfte! Wieder schüttelte ein lautloses Schluchzen seinen Körper, wieder musste er wie zur Bestätigung seines Schmerzes in seine Tasche fassen und seine Finger in den Vogelkadaver krallen. Aber seine Stunde würde kommen, längst schon hatte er sein Opfer gesichtet. Es war so leicht, diesem Mörder alles heimzuzahlen! Er würde ihm einfach auch das Liebste nehmen, so wie er ihm sein Liebstes genommen hatte. Wie gut, dass er genau beobachtet hatte. Sie hatten sich zwar gut verstellt, aber ihn konnte man nicht täuschen. Er, der immer abseitsstand, den niemand beachtete, mit dem man höchstens seine grausamen Scherze trieb, wusste ganz genau, wo die Geheimnisse lagen. Wer mit wem, wo und wie oft. Alles lag klar vor ihm. Fast machte es ihm Spaß, zu beobachten, wie sie lachte, um die Aufmerksamkeit ihres Liebsten zu erregen, wie sie ihn mit tiefen Blicken bedachte und Scherze machte. Wie kokett sie ihre Hüften schwang, nur um des Nachts mit ihm ins Stroh zu steigen! Nun – heute Nacht musste sich ihr geiler Bock wohl anders vergnügen, denn es würde zu Ende gehen mit ihr. Wie schön, dass sie noch ganz arglos mit ihren Haaren spielte und rein gar nichts davon wusste! Berauschend war diese Gewissheit, so unübertroffen zu sein, um den Tod eines Menschen bestimmen zu können. Er hatte die Macht, er war der Rächer, er war stark.
Behutsam, ohne dass irgendjemand etwas bemerken konnte, machte er sich an die Vorbereitungen. Wie gut, dass er alles immer griffbereit hatte. Wie schön, dass er so ordentlich war. Unbeirrbar verfolgte er sein Ziel, nur das allein war jetzt wichtig. Er lenkte das Maultier mit den umgeschnallten Gepäckstücken an den Rand des Pfades, band es an und gab vor, austreten zu müssen. Scheinbar beschäftigt, seinen Hosenlatz zu öffnen und sich Erleichterung in den Büschen zu verschaffen, beobachtete er genau. Wie vorausgesehen, machten sich alle daran, den besten Platz an der Tafel des Klosters zu ergattern. Nichts als das Fressen und Saufen im Kopf, dachte er belustigt und belauerte das hektische Anbinden und Absatteln der Pferde und Maultiere, das laute Herumgeplärre der hohen Herren und das gierige Glitzern in den Blicken der Dienerschaft. Er wartete geduldig, umkreiste sein Opfer in Gedanken. Nach und nach strömten die durchgefrorenen und hungrigen Reisenden ins Refektorium des Klosters. Er war nun ganz allein, oder doch nicht, denn da kam sie. Das Schicksal kam ihm zu Hilfe, erbarmte sich seiner und sandte ihm die Gelegenheit, seine Tat ohne viel Aufhebens, gründlich und sorgsam zu verrichten.
*
»Bin ich froh, dass wir Mauerbach hinter uns gelassen haben! Ich kann schon bald kein Kloster mehr sehen, Oheim! Diese stinkenden Mönche, die dünne Suppe, das harte Brot«, jammerte Sander, übergab den Zügel einem Stallburschen und sprang vom Pferd, nicht ohne sich sein Hinterteil zu reiben. Aber niemand hörte ihm zu. Ewald und Bernhard von Randegg waren mit dem beschäftigt, was sie in der Ferne sahen.
»Ich kann es kaum glauben«, meinte Ewald, »endlich bin ich in Wien, in der Stadt der Lieder, der Schwänke, der Lustbarkeiten! Mein Gott, was werde ich da wohl alles lernen können!«
Laut lachte Bernhard und klopfte seinem Knappen freundlich auf die Schulter. »Was willst du denn noch lernen? Meiner Ansicht nach beherrscht du schon genug flotte Sprüche, und dein Witz ist bereits jetzt an der Grenze des Erträglichen. Also ich denke, du solltest aufpassen, dass du nicht zu viel des Guten erlernst.«
Verlegen räusperte sich Ewald und meinte ernst: »Lieder zu schreiben und vorzutragen ist eine hohe Kunst, und gewiss habe
Weitere Kostenlose Bücher