Das Geld - 18
den Weg, wohl wissend, daß die Tage des Glücks sich nicht wiederholen. Doch er hatte seine Droschke abermals schon weggeschickt in der Hoffnung, mit zwei Schritten zu Hause zu sein; und da es so aussah, als hörte es endlich auf zu regnen, ging er zu Fuß und war glücklich, das Pflaster von Paris, das er zurückerobern wollte, unter seinen Absätzen zu spüren. In der Rue Montmartre veranlaßten ihn ein paar Regentropfen, den Weg durch die Passagen zu nehmen. Er ging durch die Passage Verdeau und die Passage Jouffroy, und als er dann in der Passage des Panoramas einem Seitengang folgte, um abzukürzen und direkt auf die Rue Vivienne zu gelangen, sah er zu seiner Überraschung, wie aus einem dunklen Flur Gustave Sédille herauskam und gleich verschwand, ohne sich umzudrehen. Saccard war stehengeblieben, und wie er sich das Haus anschaute, ein verschwiegenes Hotel, erkannte er in der verschleierten blonden kleinen Frau, die jetzt auch heraustrat, mit Sicherheit Frau Conin, die hübsche Papierwarenhändlerin. Dorthin führte sie also ihre Eintagsgeliebten, wenn sie plötzlich zärtliche Gefühle bekam, und unterdessen glaubte ihr gutmütiger dicker Ehemann sie unterwegs, um Außenstände einzutreiben! Dieses geheimnisvolle Eckchen im Viertel war sehr hübsch gewählt, und nur ein Zufall hatte soeben das Dunkel gelichtet. Saccard lächelte höchst belustigt und beneidete Gustave: Germaine Cœur am Vormittag, Frau Conin am Nachmittag – der junge Mann naschte aus zwei Töpfen! Und zweimal sah er sich noch die Tür an, um sie gut wiederzuerkennen, denn er war versucht, selbst mit von der Partie zu sein.
Als Saccard in der Rue Vivienne bei Kolb eintreten wollte, fuhr er zusammen und blieb erneut stehen. Eine leise, kristallene Musik, die aus der Erde kam, hüllte ihn wie mit märchenhaften Feenstimmen ein; er erkannte die Musik des Goldes wieder, das ständige Geläut in diesem Stadtviertel des Handels und der Spekulation, das er bereits am Morgen vernommen hatte. Der Tag ging zu Ende, wie er begonnen. Ein freudiges Gefühl bemächtigte sich seiner, als bestätigte ihm der einschmeichelnde Klang dieser Stimme die gute Vorahnung.
Kolb war gerade unten in der Gießerei; und als Freund des Hauses ging Saccard zu ihm hinunter. In dem kahlen, ständig von großen Gasflammen erhellten Keller schaufelten die beiden Schmelzer an diesem Tage spanische Goldstücke aus den mit Zinkblech ausgeschlagenen Kisten und warfen sie in den Schmelztiegel auf dem großen viereckigen Ofen. Es herrschte große Hitze, man mußte laut sprechen, um sich bei diesem ständigen Klingklang, der wie die Klänge einer Harmonika unter dem niedrigen Gewölbe widerhallte, verständlich zu machen. Geschmolzene Barren, goldene Pflastersteine reihten sich im lebhaften Glänze neuen Metalls in langer Reihe auf dem Tisch des Chemikers, der als Probierer ihren Feingehalt bestimmte. Seit dem Morgen waren über diesen Tisch mehr als sechs Millionen gegangen, die dem Bankier kaum drei- oder vierhundert Francs Gewinn einbrachten; denn die Arbitrage in Gold, bei der man die Kursdifferenz ausnutzt, die äußerst klein ist und nach Tausendsteln geschätzt wird, kann nur bei beträchtlichen Mengen von Schmelzgut Gewinn bringen. Daher vernahm man in der Tiefe dieses Kellers das ganze Jahr hindurch vom Morgen bis zum Abend diesen Klingklang, dieses Rieseln des Goldes. Das Gold, das in geprägtem Zustand dorthin kam, verließ den Keller in Barrenform, um gemünzt zurückzukehren und als Barren wieder hinauszugehen – in einem fort zu dem einzigen Zweck, in den Händen des Händlers einige Goldteilchen zurückzulassen.
Als Kolb, ein kleiner dunkelhäutiger Mann mit einer Adlernase, die aus einem großen Bart herausragte und seine jüdische Herkunft verriet, das Angebot Saccards trotz des rauschenden Goldhagels verstanden hatte, nahm er sofort an.
»Vortrefflich!« rief er. »Ich bin sehr gern dabei, wenn Daigremont sich beteiligt! Und danke, daß Sie sich die Mühe gemacht haben.«
Aber sie konnten sich kaum verständigen, deshalb schwiegen sie und verweilten noch einen Augenblick, betäubt und glückselig in diesem hellen, erregenden Geläute, das sie schauern machte wie ein zu hoher Geigenton, der endlos bis zum Krampf gehalten wird.
Draußen nahm Saccard, vor Müdigkeit ganz zerschlagen, trotz des nun wieder schönen Wetters, an diesem klaren Maiabend eine Droschke, um nach Hause zu fahren. Ein harter Tag, aber gut ausgefüllt!
Viertes Kapitel
Es traten
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