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Das Gelobte Land

Das Gelobte Land

Titel: Das Gelobte Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einar Kárason
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entsetzlichen Schreie wurden immer lauter: schreckliches Schmerzens- und Angstgeheul, und als ich auf den Korridor stürmte, sah ich, dass Daisy dort stand und schrie und sich den Kopf mit beiden Händen hielt; und auf ihrem Gesicht, das in Richtung der Schlafzimmertür sah, lag ein Grauen, wie man es bei den Putzfrauen in den Kinofilmen sieht, wenn sie bei der Morgenreinigung auf die verstümmelte Leiche des Bürovorstehers stoßen. Aus dem Zimmer hörte man zwischen Daisys Schreien Kinderweinen. Und in der Wohnzimmertür hinter ihr sah man die blassen Gesichter von Manni, Bóbó und Baddi.
    Dann ging die Schlafzimmertür auf, und der Schweinehirt erschien in seiner Arbeitskleidung, kariertem Hemd und blauer Latzhose. Er eilte wortlos den Korridor entlang zur Haustür, mit flackerndem Blick und, wie es aussah, völlig verweint. Daisy versuchte, sich auf ihn zu werfen, als er vorbeiging, doch er wich zur Seite aus wie ein Gefangener in Ketten, der Schläge erwartet. Manni ging darauf nach vorn und hielt sie, und auch wir anderen erschienen auf der Bildfläche, versuchten, uns nützlich zu machen. Easy now. Der Schweinehirt verließ
das Haus und lief davon, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Man hörte die Tritte seiner Gummistiefel auf dem Schotter davonstampfen und sich in der Ferne verlieren.
    Ich war aufgewacht und dabei, mir bewusst zu machen, dass niemand im Haus getötet worden war, dass nirgends ein kopfloser Rumpf lag, keine Leiche von irgendeinem Seil baumelte. Als die Sache sich klärte, kam allerdings ans Licht, dass der Schweinehirt das Wasserbett der Eheleute auf die schrecklichste Weise misshandelt hatte. Er hatte sich mit einem Schlachtermesser darauf geworfen und es aufgeschnitten und zerhackt und zerfetzt, und nun lag es flach wie ein zerrissener Blasebalg auf dem Boden, während das Wasser in kleinen Bächen durch das ganze Haus strömte. Das Kind weinte noch lauter, und es wurde einem ganz schwindelig vor lauter Müdigkeit und Verzweiflung und Ratlosigkeit, aber es gab nichts, was man hätte tun können, so dass Daisy, nachdem sie und das Kind sich vom schwersten Schrecken erholt hatten, es auf den Arm nahm und mit ihm hinauslief. Wohin, weiß ich nicht. Vielleicht, um es zur Oma zurückzubringen.
    Ich warf mich auf das Sofa im Wohnzimmer und versuchte, wieder einzuschlafen. Aber da schüttelte Bóbó mich an der Schulter und sagte, dass Onkel Baddi ernsthaft verletzt sei, etwas sei mit seiner Hand, sie hing ganz lose und kraftlos.
    Das war wahr. Sie hing wie eine abgestorbene Flosse. Manni hatte sich bis jetzt sehr im Hintergrund gehalten, saß nur blass und stöhnte laut und oft, doch nun kam seine Stunde. Mit zitternden Händen und nervösem Zucken im Gesicht nahm er das Handgelenk, klopfte hier und dort und drehte und drückte, und es war nicht zu leugnen, dass er bei diesem Vorgehen wahnsinnig fachmännisch wirkte. Und nachdem er den Arm im rechten Winkel zur Seite gestreckt hatte, zog er heftig daran, und der Armknochen sprang zurück ins Schultergelenk.

    Onkel Baddi bewegte die Hand vorsichtig, beugte und drehte sie, doch dann breitete sich ein Lächeln über seinem Gesicht aus, denn offensichtlich war alles wieder in Ordnung. Er sprach Manni seine Anerkennung aus: – Du bist genau wie Doktor Schiwago, Mann! Und Manni sah sich um, mit einem breiten Lächeln im roten Gesicht, unter den sorgenvollen Augen mit dem flackernden Blick, und ich versuchte, mir weitere anerkennende Worte für ihn auszudenken, um ihn etwas zu erleichtern. Bóbó dagegen watete in die Küche und holte Bier für alle, denn es begann, draußen hell zu werden, und alles sah nun etwas weniger schlimm aus.

You only live twice
    Hermann Thórgnýson meinte, noch einige Rechnungen mit der Welt offen zu haben. Die Eltern hatten seine ganze Kindheit zu endloser Qual gemacht, und jetzt war er ein Künstler und ein kontaktscheuer Sonderling.
    Als Kind wurde er immer Der Rote Wolf genannt, wegen des strapazierfähigen roten Pullovers, den er die ganzen Schuljahre hindurch statt einer Jacke trug. Der Rote Wolf. Oft musste er sich auf dem Schulhof seiner Haut wehren, wenn er sich vom Zorn mitreißen ließ und dann die ganze Kindermeute der Schule gegen sich hatte. Er floh dann, die Gesichtszüge hinter der dicken, viereckigen Altherrenbrille verzerrt, und verfluchte seinen Spitznamen. Aber später fand er ihn nicht zu schlimm, um Gedichte von sich unter dem Pseudonym Der Rote Wolf in kleineren Zeitschriften veröffentlichen

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