Das Gelobte Land
Ort. Von ganzem Herzen froh stand ich auf und zog die Gardinen vor dem Wohnzimmerfenster zurück. Es war halb acht, und ich weckte die Jungs ziemlich gutgelaunt, denn es hatte völlig aufgeklart über unserem Dasein.
Doch das schien mein Halbbruder Bóbó nicht sehen zu können, denn er lag wie tot im Sessel, antwortete nur mit einem schwachen Knurren, als Manni und ich versuchten, ihn wachzurütteln. Als ich die Hausfrau fragte, wie wir zur nächsten Busstation kämen, bot sie an, uns hinaufzufahren; es sei ein ganzes Stück von hier. Ich sagte natürlich, es sei ganz unnötig, dass sie sich solche Umstände machte, war aber trotzdem froh, denn ich wollte so bald wie möglich von hier fortkommen. Die Greyhoundstation war an diesem Morgen in meinen Augen wie ein Paradies, das Gelobte Land: da könnten wir uns in den Bus setzen und abzischen, im schönen Wetter nach Süden; weg von dieser Farm hier und von unserer Oma in der Kiesgrube. Den Fluss entlang, in das Land von Huckleberry Finn; dorthin, wo die Indianerbücher spielten, mit Leichtfuß an den Ufern des Mississippi-Stromes.
Ich konnte es kaum erwarten loszufahren. Hatte mein Zeug in die Reisetasche gestopft und den Reißverschluss zugezogen, war auf dem Hof gewesen und hatte die Sonnenstrahlen im Schlamm auf dem Hofplatz glänzen sehen, hatte mir Rührei und ein Glas Saft einverleibt, doch Bóbó lag immer noch halb tot auf dem Sofa. Am Ende wurde ich böse und gereizt, und ich trat gegen den Sessel und sagte, dass wir schon mal vorfahren würden.
Da riss er schließlich die Augen auf, so gelb und blutunterlaufen, dass ich zurückzuckte, und sagte, dass es keine Männer auf der Welt gäbe, die solche Schweinehunde wären, dass sie ihn hier an diesem Ort zurückließen, in einem solchen Zustand. – Wie viel Uhr ist es?
– Bald zehn.
– Gib mir eine Chance bis zwölf, und dann komme ich, stöhnte Bóbó, und war wieder in Ohnmacht gefallen.
Was war mit ihm los? – Bist du krank, fragte ich, und er nickte schwach mit dem Kopf. – Halsschmerzen? – Nein. – Bauchweh? – Nein. – Was ist dann?, sagte Manni, und Bóbó murmelte etwas, das ich nicht hörte. – Was hat er gesagt?, flüsterte ich Manni zu, aber er hob die Schultern mit beunruhigtem Blick und sagte: – State of mind?
Irgendwie mussten wir die Zeit bis zwölf herumkriegen. Manni und ich waren reisefertig und ungeduldig, endlich aufzubrechen, auch wenig scharf darauf, noch länger hier herumzuhängen und auf mehr Probleme zu warten. Wir hofften, dass niemand käme, solange wir warteten, aber das erfüllte sich nicht: Frau Dólóres kam, die Hundemama, allerdings nicht mit den Menschenfressertieren, sondern mit dem Kind. Und es fiel mir auf, dass wir die ganzen Tage, die wir hiergewesen waren, das Kind kaum gesehen hatten. Das war sehr schade, denn es schien ein ganz fabelhaftes Kind zu sein: ein Mädchen wie aus einer Waschmittelreklame ausgeschnitten, mit blonden Locken und Pausbacken, zwei, drei Jahre alt. Sprach amerikanisch, und das findet man ja immer ein bisschen komisch, so ein Würmchen ausländisch sprechen zu hören. Sie zeigte Manni und mir ihren Teddy und fragte uns alle möglichen großartigen Fragen, wer das auf dem Stuhl wäre? Onkel Bóbó. – Ist er tot? Hat ihn jemand verprügelt? Sie lachte und grinste und amüsierte sich und brachte uns in gute
Stimmung, bis Frau Dólóres, die mit Daisy in der Küche gesessen hatte, auf einmal eilig hinausstürzte und das Kind ihr nachlaufen wollte, aber Daisy kam und hielt das Mädchen fest und sagte, dass sie jetzt zu Hause bleiben werde, aber das Kind schlug und schrie und warf sich auf dem Boden herum und rief granny, granny, bis es heiser war.
Dann rief Oma Gógó an. Über alle Maßen fröhlich. Ich plauderte mit ihr, und es gelang mir zu verhindern, dass sie Daisy bäte, sie und die beiden anderen, Billy the Kid und Klara, abzuholen, damit sie sich von uns verabschieden könnten. Am liebsten wollte sie sich auch noch darum kümmern, Baddi freizubekommen, sagte, sie hätte schon ein paar Mal angerufen und herausgefunden, wo er wäre, und eine lose Zusage bekommen, dass er möglicherweise um die Mittagszeit telefonieren dürfe, vierundzwanzig Stunden nach seiner Festnahme. Aber ich bekam die Alte dazu beizupflichten, dass es ganz ausreichend wäre, wenn wir uns nur am Telefon verabschiedeten, wir würden uns ja ohnehin wiedertreffen.
Dann wurde es zwölf, und wir weckten Bóbó, zogen ihn hoch, und er schleppte sich mit uns
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