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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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konnten; und weil seine große Zehe nicht abstand, ließen sie ihn durch, da er burmesische Kleidung trug. Aber die Gegner hatten bereits Mittel und Wege gefunden, dieses Erkennungsmerkmal zunichte zu machen, indem sie ihre Zehen aneinanderfügten. Viermal war Charlie auf solche Gegner getroffen, und zwei von ihnen hatte er getötet. Er hatte sich verkleidet, um an den Engländern vorbeizukommen; seine Haut war jetzt dunkler gefärbt als die der Burmesen, und er trug das safrangelbe Gewand eines Priesters. Er war gerade im Begriff, an dem englischen Wachtposten vorbeizuschlüpfen, als der ihn anhielt und ihm das Gewehr auf die Brust setzte.
    »Zeig deine dreckige Hand her!« schnauzte er. »Was hast du auf der Brust?«
    Charlie zog die Almosenschale hervor, mit der er sich durchgebettelt hatte.
    »Schieb ab, du Bettler«, sagte der Engländer und ließ ihn vorbei.
    So überschritt Charlie die Grenze, das Herz von Wut geschwellt. Wie leicht hätte er durchkommen können, wenn er ein Feind gewesen wäre … Wie dumm waren diese Weißen, die niemandem vertrauen wollten außer sich selbst, dabei so unwissend, daß sie Freund und Feind nicht zu unterscheiden vermochten! Eine beklemmende Ahnung überfiel ihn. Konnten sie mit solchen Verbündeten gewinnen?
    Über diesen Gedanken grübelnd, wanderte er weiter, und um Mitternacht langte er in der Grenzstadt an, wo er sich geradewegs zum General begab. Er hatte beschlossen, den General zu wecken, falls er schlief, doch sah er Licht aus dem Fenster fallen, und dann sah er den General über eine Karte gebeugt am Tisch, und rings um ihn standen seine jungen Offiziere, Sheng und Pao Chen und Yao Yung und Chen Yu, deren Köpfe eine dunkle Masse bildeten.
    »Halt!« schrie der Soldat an der Tür, als Charlie sich näherte.
    »Laßt mich vorbei«, sagte Charlie. »Ich bringe Neuigkeiten.«
    »Die Parole!« heischte der Soldat.
    Die Parole aber wurde täglich geändert, und woher hätte Charlie wissen sollen, wie sie heute lautete? Statt dessen erhob er seine Stimme und brüllte den Namen des Generals heraus. Auf den Lärm hin eilte der General selber zur Tür.
    »Was soll dieser Krach?« rief er in die Dunkelheit. Als das Licht auf Charlie fiel, erkannte er ihn und forderte ihn auf einzutreten. So ging Charlie hinein und stand nun vor ihnen. Lautes Gelächter ertönte, als die Offiziere ihn erblickten, denn wirklich sah er mit seiner Bettelschale in der Hand wie ein junger Wanderpriester von Burma aus.
    »Es ist wie in einem Theaterstück«, sagte Sheng lachend. »Sie treten auf, diese Späher, erst der eine und dann der andere.«
    »Ihr seid von den fünfzig der sechzehnte, der zurückkommt«, erklärte der General. »Laßt mich nun hören, was Ihr Neues zu berichten habt.«
    Während dieser Worte hatte er sich an den Tisch gesetzt, und er forderte die jungen Männer auf, ebenfalls Platz zu nehmen. Von einem Antlitz zum andern blickend, brachte Charlie seine Geschichte vor.
    »Ich ging nach Rangun«, begann er, »weil dort das Herz der Schlacht ist.«
    Der General nickte und zündete sich eine Zigarette an. Sein liebenswürdiges Gesicht verhärtete sich.
    »Herr, Ihr müßt wissen, daß die Stadt Rangun den Weißen gehört«, sagte Charlie. Seine Stimme war sanft, doch seine Augen flammten. »Dort gibt es viele große Geschäftshäuser, aber sie alle gehören den Weißen. Dort sind viele Schulen, jedoch nur für jene bestimmt, die den Weißen dienen.«
    »Weiter«, befahl der General.
    »Aber die Weißen sind jetzt nicht dort«, fuhr Charlie fort, von Gesicht zu Gesicht schauend. »Sie haben die Stadt verlassen und halten sich in den Bergen auf, in Sicherheit abwartend, wie sie ihren Angestellten gesagt haben, bis der Krieg in einigen Wochen vorbei ist.«
    Seine Stimme klang milde und ruhig. Bei diesen Worten brachen die jungen Männer in lautes Gelächter aus.
    »Bis der Krieg in einigen Wochen vorbei ist!« wiederholte Chen Yu zornig.
    »Weiter«, sagte der General abermals.
    »In der Stadt gibt es einen goldenen Schrein, in dem sich zwei Haupthaare von Buddha befinden«, erzählte Charlie. »Den ganzen Tag, ohne Unterlaß, gehen die Pilger die Stufen hinauf und hinunter. Sie ziehen die Schuhe aus, denn sogar die Stufen sind geheiligt. Aber man sagt, daß es jetzt nicht einmal halb so viele Pilger wie früher sind.«
    »Laßt den Schrein beiseite«, fiel der General ein. Seine Zigarette war schon ausgegangen, und er zündete sich eine neue an. »Berichtet uns vom Hafen. Wird er

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