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Das Gelübde

Titel: Das Gelübde
Autoren: Kai Meyer
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loszuprusten. »Der arme Pater Limberg! Er gibt sich solche Mühe, mich mit seinem Nachtgebet nicht aufzuwecken.«
    »Weiß der Pater«, fragte ich, »daß Sie wissen, daß…«
    »Aber nein!« Sie sah mich an, als hätte ich etwas sehr Dummes gesagt. »Wenn er es wüßte, würde er nicht mehr herkommen. Er ist überzeugt, daß ich meinen Schlaf bitter nötig habe. Er würde mich niemals absichtlich stören.«
    »Er kommt wirklich nur, um für Sie zu beten?«
    »Was sollte er denn sonst wollen?«
    Meine eigene Torheit machte mich ganz krank. Ohne nachzudenken wählte ich den einfachsten Weg. »Verzeihen Sie mir. Ich habe getrunken. Ich werde…«
    »Bleiben Sie«, fiel sie mir ins Wort. »Bitte.«
    »Ich muß entsetzlich riechen.«
    »Wir werden einfach das Fenster weiter öffnen.«
    Willenlos beugte ich mich über ihr Bett und zog das Fenster auf. »Wie es Ihnen am liebsten ist.«
    »Oh, ich bitte Sie, seien Sie doch nicht so verstockt!« rügte sie mich ungeduldig. »Die Nacht in meiner Kleiderkiste zu verbringen ist keine Todsünde.« Wieder konnte sie ein Kichern nicht unterdrücken. »Aber Pater Limberg wird Ihnen gewiß gern die Beichte abnehmen, wenn Sie ihn darum bitten.«
    Ihr Grinsen war ansteckend. Allmählich entspannte ich mich.
    »Die Absolution würde er mir verweigern, fürchte ich.«
    »Haben Sie wirklich geglaubt, er tut irgendwelche verbotenen Dinge mit mir?«
    »Ich weiß nicht mehr, was ich geglaubt habe.«
    »Jetzt schwindeln Sie.«
    »Ja, gut, ich dachte, daß er vielleicht nicht ganz der brave Kirchenmann ist, der er zu sein vorgibt. Verärgert Sie das?«
    »Wie könnte es mich verärgern, daß Sie sich Sorgen um mich machen?«
    »Nun sind Sie schon wieder so verdammt gütig.«
    »Verdammt gütig?« wiederholte sie verdutzt, und in der Tat klang es sonderbar aus ihrem Munde. »Finden Sie nicht auch, daß das ein Widerspruch ist?«
    Ich hob abwehrend beide Hände und schüttelte lächelnd den Kopf. »Wenn Sie wie eine Nonne reden, kann ich mich nicht mit Ihnen unterhalten.«
    »Wie wäre es Ihnen denn lieber?«
    Meinte sie das so neckisch wie es klang? Ich wurde einfach nicht schlau aus ihr.
    »Vielleicht sollten Sie jetzt wirklich schlafen«, sagte ich ausweichend.
    »Sie haben doch nicht etwa Angst vor mir?«
    »Soll ich aufrichtig sein?«
    Sie nickte mit riesengroßen Augen.
    »Sie verwirren mich«, fuhr ich fort, barg einen Moment lang das Gesicht in den Händen und schüttelte den Kopf. Als ich wieder aufblickte, schaute sie mich immer noch unverändert an, neugierig und im Dunkeln so mysteriös wie ein Kirchenfresko. »Sie bringen mich durcheinander. Ich meine, ich sitze plötzlich nachts in fremden Kleiderkisten! Glauben Sie mir, das ist nichts, was mir regelmäßig passiert.« Sie lachte leise, ohne mich zu unterbrechen. »Ich weiß nicht, was ich von Ihnen halten soll, Anna. Mal benehmen Sie sich wie eine Heilige, mal wie ein Mädchen, das nichts anderes im Sinn hat, als Männern den Kopf zu verdrehen.«
    Sie war nicht schockiert, nur ein wenig verwundert. »Tue ich das wirklich? Ihnen den Kopf verdrehen? Empfinden Sie das so?«
    »Da sehen Sie’s! Wenn Sie mich so fragen, muß ich nein sagen, obwohl…«
    »Obwohl Sie in Wahrheit etwas ganz anderes empfinden.«
    »Ja. Vielleicht.«
    Ein Moment des Schweigens verging, ehe ich erneut das Wort ergriff. »Als ich hereinkam, haben Sie noch nicht geblutet. Geschieht das immer erst, wenn der Pater bei Ihnen war?«
    »Wann werden Sie nur endlich Ihr Mißtrauen ablegen?«
    »Ich weiß nicht… Vielleicht, wenn ich überzeugt bin.«
    Sie seufzte leise, schien aber nicht verärgert. »Gott hat mir die Kraft des Sühneleidens geschenkt. Ich büße für die Sünden anderer.«
    »Das weiß ich alles, aber…«
    »Lassen Sie mich ausreden. Während eines Gebetes ist meine Fähigkeit, für andere Buße zu tun, besonders stark, vor allem wenn es so kraftvolle Gebete wie die von Pater Limberg sind.
    Wenn ich erwache, während er hier ist, und in Gedanken mit ihm bete, brechen die Wunden auf. Er faßt mich nicht an, das müssen Sie mir glauben! Sie sind im Irrtum, wenn Sie wirklich denken, er sei es, der mir diese Verletzungen zufügt.«
    »Aber Sie widersprechen sich doch selbst! Sie haben mir gesagt, daß Sie furchten, die Stigmata könnten eine Strafe Gottes sein – und jetzt behaupten Sie, damit für die Sünden anderer zu büßen.«
    Daraufhin wurde sie sehr still, und ich fürchtete, sie mit meinen Worten verletzt zu haben. Ich verstand, was in
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