Das Generationenschiff
identifizieren und hier rausholen? Es sei denn, Sassinak war etwas zugestoßen … und diese Möglichkeit wollte sie gar nicht erst in Erwägung ziehen.
Statt dessen versuchte sie die Zeit zu summieren, die verstrichen war, seit sie die Zaid-Dayan verlassen hatte. Der Prozeß gegen Tanegli, bei dem sie aussagen sollte, mußte sehr nahe sein. Es sei denn, daß sie hier festgehalten wurde. Hatte jemand Interesse daran? War das von Anfang an Zebaras Plan gewesen? Sie kramte in ihrem Beutel nach den Beweisen für die Verstrickung Diplos in die Verschwörungen, die Zebara ihr versprochen hatte, fand aber nichts. Alle Kleidungsstücke und das bißchen Schmuck, das sie nach Diplo mitgenommen hatte, waren noch vorhanden.
Auf ihrem kleinen Computer war nur die Software gespeichert. Nichts steckte in Dateien mit mysteriösen Namen und nichts Neues in den Dateien, die sie angelegt hatte. Keine eigenartigen Beulen in ihrer Kleidung, nichts steckte in den Taschen ihres Kleidersacks. Sogar der Krimskrams war noch vorhanden. Sie fragte sich, warum niemand das Programmheft für die Aufführung von Bittere Bestimmung oder den Gepäckzettel von Diplo oder den zerknäulten Zettel weggeworfen hatte, auf dem sie die Zimmernummer auf Liaka notiert hatte, wo das Ärzteteam sich treffen sollte. Dazu kam ein Werbezettel von einer Boutique, die sie nie besucht hatte. Sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, ob das vor oder nach Ireta gewesen war. Zuletzt ein weiterer Papierfetzen mit den Nummern der Fälle, die neu in die Kuben eingetragen werden mußten, nämliche die Fälle, um die Bias solches Aufhebens gemacht hatte. Aber es war nichts darunter, was Zebaras versprochenen Beweisstücken ähnelte. Schließlich ließ sich Lunzie enttäuscht in den weichgepolsterten Stuhl fallen und starrte finster auf die Tür, die sich verdächtig schnell öffnete.
Sie erkannte den alten Mann nicht, der dort stand. Er dagegen kannte sie offensichtlich schon, wartete aber entspannt ab, bis sie ihn mit einem Nicken zur Kenntnis nahm.
»Darf ich reinkommen?« fragte er dann.
Als ob ich dich aufhalten könnte, dachte sie, versuchte aber großzügig zu lächeln und sagte: »Natürlich. Kommen Sie rein.«
Ihre Stimme klang schärfer, als sie beabsichtigt hatte, aber es schien ihn nicht zu stören. Er schloß hinter sich gewissenhaft die Tür, während sie herauszufinden versuchte, wer oder was er war.
Obwohl er keine Uniform trug, hatte sie den Eindruck, daß eine Uniform ihm ganz selbstverständlich gestanden hätte. Dieses Auftreten hätte zu einem Offizier gepaßt. In seinem Alter – wegen seines silbergrauen Haars und der tief gerunzelten Stirn schätzte sie ihn mindestens auf sechzig – hätte er mehrere Sterne getragen. Er war überdurchschnittlich groß und hatte durchdringend blaue Augen. Wenn sein Haar blond oder schwarz oder braun gewesen wäre … ein warmes Honigbraun …
Es war immer ein Schock, und es würde ein Schock bleiben, so wie bei Zebara. Zumindest war dieser Mann gesund und sein graues Haar nur ein Zeichen des Alters, nicht des Verfalls.
»Admiral Coromell«, flüsterte sie leise. Er lächelte -dasselbe charmante Lächeln, das sie von einem viel jüngeren Gesicht in Erinnerung hatte. Er war nicht um die sechzig, sondern sicher weit über achtzig. »Ihr Vater?« Er mußte tot sein, aber …
»Er ist vor etwa zwanzig Jahren schmerzlos im Schlaf gestorben«, sagte Coromell. »Und Sie haben noch einen langen Schlaf überlebt! Bemerkenswert.«
Nicht bemerkenswert, dachte Lunzie, sondern abstoßend. »Allmählich habe ich das Gefühl, daß diese abergläubischen Raumfahrer Recht hatten! Ich bin ein Jonas.«
Es klang erstaunlich jugendlich, als er verächtlich schnaubte. »Ireta ist nur ein Planet. Er zählt nicht viel. Meine Liebe, so gern ich mit Ihnen plaudern und verbale Scharmützel ausfechten würde, können wir uns diesen Luxus leider nicht erlauben. Wir haben ein Problem.«
Lunzie hob neugierig die Augenbrauen. Soweit es sie betraf, hatten sie viel mehr als nur ein Problem. Er konnte sagen, was er wollte.
»Es geht um Ihre Nachfahrin.«
Damit hatte sie nicht gerechnet. »Meine Nachfahrin?« Fiona mußte inzwischen tot sein. Was konnte das bedeuten? Aber natürlich! »Sassinak?« Er nickte. Sie spürte einen Anflug von Furcht. »Was ist mit ihr passiert? Wo ist sie?«
»Eben das wissen wir nicht. Sie war hier. Ich meine in der Föderationszentrale, während ich drüben auf Sechs einen Jagdurlaub gemacht habe.
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