Das Generationenschiff
heute darüber unterhalten.«
»Gut. Vielleicht sollte er es Ihnen erzählen. Wie Sie vielleicht vermuten, ist der Kältetod die entwürdigendste und zugleich ehrenvollste Todesart, die wir kennen. Entwürdigend deshalb, weil unser Volk dazu gezwungen wurde. Er ist das Symbol unserer politischen Schwäche. Und ehrenvoll ist er deshalb, weil viele sich dafür entschieden haben, um andere zu retten. Einen anderen zum Tod durch Kälte oder Hunger zu verurteilen, ist das schlimmste Verbrechen, schlimmer als jede Folter. Aber freiwillig den Weißen Weg, den Weg in den Schnee zu gehen, ist die beste Art zu sterben, eine Bekräftigung aller Werte, die uns das Überleben ermöglichen.« Er machte eine Pause, fuhr sich mit dem Finger um den Kragen, als wollte er ihn lockern, und sprach v weiter. »Deshalb ist der Kälteschlaf für uns eine eigenartige Parodie unserer Ängste und Hoffnungen. Er ist ein kleiner Kältetod. Wenn er so lang andauert, wie Sie es erlebt haben, ist er gleichbedeutend mit dem Tod der Vergangenheit, dem Verlust von Familie und Freunden, als sei man wirklich gestorben – nur daß man noch lebt und sich dessen bewußt ist. Aber er betrügt auch den langen Tod des Winters. Er ist wie ein Same einer Chranghal – eine unserer Pflanzen, die nach einem langen Winter aus dem Boden schießt. Sie schläft, ohne zu träumen, ist fast tot! Und dann erwacht sie wieder und ist frisch und grün.
Wenn wir reisen und wissen, daß wir uns in den Kälteschlaf begeben müssen, unterziehen wir uns den Sterberitualen und nehmen die drei Früchte mit, die wir alle essen, um den Frühling und die Wiedergeburt zu feiern.«
»Aber Ihre Sterberate im Kälteschlaf, wenn er länger als einige Monate andauert, ist sehr viel höher als gewöhnlich«, sagte Lunzie. »Und die Lebensdauer danach ist tendenziell kürzer.«
»Richtig. Vielleicht finden Sie heraus, woran es liegt, zumindest in physiologischer Hinsicht. Ich persönlich glaube, daß jeder, der einem längeren Kälteschlaf zustimmt, sich dem Tod selbst ergeben hat. Er erbringt noch einmal dieses erste Opfer, und wenn er es überlebt, hängt er danach weniger am Leben. Schließlich würden wir bei unserer allgemein niedrigeren Lebenserwartung unsere Freunde viel eher überleben als Sie. Und wie mir der Direktor gesagt hat, ist es Ihnen nicht leichtgefallen, hinterher wieder ins Leben zurückzufinden.«
»Nein.«
Lunzie sah erst zu Boden, dann zum verschwommenen Fenster hinaus und dachte an diese erste finstere Verzweiflung zurück, als sie erfahren hatte, daß Fiona erwachsen und fort war, daß sie ihr Kind als Kind nie wiedersehen würde. Und es war jedesmal ein Schock gewesen, wenn sie erfahren hatte, daß Menschen alt geworden waren, die sie als Kinder gekannt hatte. Als sie erfahren hatte, daß ihre Urururenkelin älter war als sie.
Ihr Begleiter schwieg. Sie verbrachten die restliche Fahrt, ohne ein weiteres Wort zu wechseln, aber ohne jede Feindseligkeit. Zebaras Haus stellte sich, als sie schließlich in die überdachte Einfahrt einfuhren, als ein dunkler Maulwurfshügel aus Granit, eine Kreuzung aus einer Festung und einem Lager heraus.
»Danke, Major«, sagte Zebara kühl, als er aus dem Haus kam, Lunzie begrüßte und durch eine doppelte Glastür in eine kreisrunde Halle unter einer niedrigen Kuppel führte. Der Boden war mit einem bernsteinfarbenen Stein gefliest, den braune und rote Adern durchzogen; die Kuppel glänzte in matter Bronze, erhellt von Lampen, die sich in Aussparungen um den Rand versteckten. Ringsum zwischen den vier überwölbten Türen standen Steinbänke an den gewölbten Wänden. In der Mitte führten zwei Stufen zu einer Feuergrube hinunter, in der Flammen flackerten, die ohne Rauch brannten.
Lunzie folgte Zebara die Stufen hinunter, und auf seinen Wink hin setzte sie sich auf den niedrigsten gepolsterten Stuhl. Sie genoß die Wärme des kleinen Feuers. Zebara griff unter den Sitz neben sich und holte eine durchsichtige Perle hervor.
»Räucherwerk«, erklärte er, bevor er sie ins Feuer warf. »Willkommen in unserer Halle, Lunzie. Ich wünsche Ihnen und den Kindern Ihrer Kinder Frieden, Gesundheit und Wohlstand.«
Es klang so förmlich, so seltsam, daß sie keine Ahnung hatte, was sie erwidern sollte. Sie sagte lieber nichts und senkte für einen Moment den Kopf. Als sie wieder aufblickte, hatte sich eine Runde von Schwerweltlern um sie geschlossen. Zebara hob die Stimme.
»Meine Kinder und ihre Kinder. Sie kennen Lunzie, und
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