Das Generationenschiff
Hände, stand auf, und der Umhang wirbelte um ihn herum. »Ich bringe Ihnen etwas. Ich bin in letzter Zeit selbst sehr durstig.« Er deutete auf die Auswahl von Getränken auf dem Regal hinter seinem Schreibtisch. »Fruchtsaft? Einen Muntermacher?«
»Saft bitte.« Lunzie sah zu, wie er zwei Gläser eingoß und ihr die Wahl zwischen beiden ließ. Glaubte er wirklich, sie traute ihm zu, daß er ihr etwas ins Getränk mischte? Und wenn doch, sollte sie sich Sorgen machen? Aber sie trank einen Schluck und schmeckte nichts als das angenehme Aroma des Fruchtsafts, während Zebara sich wieder neben sie setzte.
Er trank einen kräftigen Schluck, ehe er weitersprach. »Soweit wir sagen können, lag es nicht an der Flotte. Jedenfalls hat sie keine Notkapsel ignoriert. Es gab keine Notkapsel.«
»Wie bitte?«
»Versteckt in einer der Dateien haben wir die Notiz gefunden, daß die Kosten für eine FTL-Notkapsel als nicht gerechtfertigt erachtet wurden, weil Diplo nicht weiter als zwölf Standard-Lichtmonate von einem großen Kommunikations-Knotenpunkt entfernt liegt, der alles wichtige Material weiterleiten könne. In dem Bericht hieß es, Kolonisten hätten schon öfter solche teuren Ressourcen für unbedeutende Angelegenheiten verschwendet, die keine Antwort erforderten. Wenn Kolonisten nicht zwölf Monate lang für sich selbst sorgen könnten – und an dieser Stelle kann ich einige Schreibtischhengste die Nase rümpfen hören –, dann könne man sie kaum als Kolonisten bezeichnen.« Er trank noch einen Schluck. »Sie verstehen, was das bedeutet.«
»Natürlich. Die Nachricht ist nicht nach vier Monaten irgendwo angekommen, wo sie etwas hätte bewirken können. Sie hat nach zwölf Monaten eine kommerzielle Telekommunikations-Station erreicht, zu einem Zeitpunkt, als die Kolonisten bereits mit einer Rettungsmission rechneten.«
»Und von dort«, sagte Zebara, »wurde sie umgeleitet … und hat die Flotte nie erreicht.«
»Aber das ist …«
»Es war schon peinlich. In dem Vertrag, den die Kolonisten unterzeichnet hatten, war die genaue Platzierung der Sonde vereinbart worden. Als diese Nachricht die Station erreichte, war das ein Beweis dafür, daß man keine Sonde installiert hatte. Und nach zwölf Monaten? Angenommen, man hätte dann eine Rettungsmannschaft geschickt. Was hätte sie gefunden? Von da an haben wir keine direkten Beweise mehr, aber wir nehmen an, daß jemand entschieden hat, die ganze Datei verschwinden zu lassen. Und die nächste planmäßige Lieferung von Fertigungsteilen abzuwarten, die erst in zwei weiteren Standardjahren erfolgen sollte, wenn damit zu rechnen war, daß niemand mehr leben würde. Es mag traurig sein, aber so ergeht es den Kolonien. Es ist ein gefährliches Geschäft!«
Lunzie fröstelte erst, dann stieg in ihr ein wilder Zorn empor. »Es … es ist Mord. Vorsätzlicher Mord!«
»Nicht nach den Gesetzen der FES zu jener Zeit. Auch nicht nach den heutigen. Wir konnten es nicht beweisen. Ich sage ›wir‹, aber Sie wissen sicher, daß ich die damalige Regierung von Diplo meine. Wie auch immer, als das Schiff eintraf, fand es die Überlebenden vor: die Frauen, die Kinder und ein paar junge Männer, die am Anfang des langen Winters noch Kinder gewesen waren. Die Mannschaft des ersten Schiffs tat so, als wüßte sie nicht, daß etwas geschehen war. Als sei sie selbst überrascht! Aber einer der Konzernvertreter auf dem zweiten Schiff hat betrunken einiges ausgeplaudert.«
Lunzie fiel nichts Angemessenes ein, das sie sagen konnte. Glücklicherweise schien er nichts von ihr zu erwarten. Nach einer kurzen Pause wandte er sich wieder Familienangelegenheiten zu und erzählte ihr von seinen Hoffnungen für seine Angehörigen. Nach und nach beruhigten sich Lunzies Gedanken wieder. Als es Zeit wurde zu gehen, führte sie eine neue Erinnerung mit sich, die so angenehm war wie die frühere. Es war ihr nicht mehr pervers vorgekommen, von den Händen eines alten Mannes berührt zu werden, eines Mannes, der sie nach all den Jahren immer noch liebte.
zehntes kapitel
FES-Begleitschiff Klaue
Dupaynil ging mit sicheren, bedächtigen Schritten zur Brücke voraus. Der junge Offizier hatte vielleicht immer noch Zweifel, wünschte immer noch, er hätte Dupaynil bewachen lassen. Nur gab es keine Wachen mehr. Es war ihm sicher angenehmer, wenn Dupaynil ruhig und ohne Hast vor ihm herging. Auf dem Treppenabsatz vor der Brücke sagte Dupaynil über die Schulter: »Wenn Sie nichts dagegen haben,
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