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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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heißen?«
    »Wenn zwei Menschen sich ganz füreinander öffnen. Wenn es zwischen ihnen keine Geheimnisse gibt.«
    Ich musste lachen. »Keine Geheimnisse?«, fragte ich. »Das ist unmöglich. Wir verbringen Wochen damit, ihre ganze Lebensgeschichte aus den Klienten herauszuholen, und jedes Mal, wenn wir sie an den Autopiloten anschließen, plaudern sie ein entscheidendes Detail aus, das uns entgangen ist. Ausjemandem alle Geheimnisse herauszubekommen, das ist schlicht und einfach nicht möglich, tut mir leid.«
    »Nein«, sagte Ga. »Sie erzählt mir ihre Geheimnisse. Und ich erzähle ihr meine. Freiwillig.«
    Ich sah Q-Ki wieder vorbeilaufen, diesmal trug sie eine Stirnlampe. Ich rannte aus der Zelle, um sie einzuholen – aber sie war schon am Ende des Gangs. »Was machen Sie hier mitten in der Nacht?«, rief ich ihr hinterher.
    Ich hörte das Echo ihrer Antwort durch die Gänge hallen: »Ich setze mich voll ein!«
    Im Treppenhaus holte ich sie ein, aber sie wurde nicht langsamer. Sie hatte ein Gerät aus der Werkstatt dabei, eine Handpumpe mit einem Gummischlauch dran. Damit pumpt man dem Klienten den Magen erst voll, dann wieder aus – Organschwellung durch gewaltsam zugeführte Flüssigkeit ist die drittschmerzhafteste Taktik, um jemanden gefügig zu machen.
    »Wo wollen Sie damit hin?«, fragte ich.
    Stufe um Stufe führte uns die Wendeltreppe tiefer in das Gebäude hinab.
    »Ich habe keine Zeit«, gab sie zurück.
    Ich packte sie grob am Ellbogen und drehte sie herum. So eine Behandlung war sie anscheinend nicht gewöhnt.
    »Ich habe einen Fehler gemacht«, gestand sie mir. »Wir müssen uns jetzt wirklich beeilen.«
    Nach zwei weiteren Treppen waren wir an der Klappe zum Sumpf. Sie stand offen.
    »Nein«, sagte ich. »Das kann doch nicht wahr sein.«
    Sie kletterte die Leiter hinunter, und als ich ihr folgte, konnte ich schon sehen, wie sich Genosse Buc auf dem Boden wand. Neben ihm lag eine umgeschüttete Büchse Pfirsiche. Q-Ki kämpfte gegen seine Zuckungen an und versuchte, ihmden Schlauch in den Hals zu schieben. Schwarzer Speichel lief ihm aus dem Mund, seine Augen wollten nicht offen bleiben – alles eindeutige Zeichen einer Lebensmittelvergiftung.
    »Vergessen Sie‘s«, sagte ich. »Das Gift hat sein Nervensystem schon erreicht.«
    Sie stöhnte frustriert auf. »Ich weiß. Ich habe Mist gebaut«, murmelte sie reuig.
    »Und weiter?«
    »Ich weiß, ich hätte es nicht tun sollen«, fuhr sie fort. »Aber dieser Typ weiß alles, was wir brauchen.«
    »Wusste.«
    »Ja, wusste.« Sie sah aus, als würde sie dem vor Krämpfen zitternden Mann am liebsten einen Fußtritt versetzen. »Ich dachte, wenn ich ihn mir richtig vorknöpfe, könnten wir die ganze Sache aufklären. Ich bin hier runtergekommen und habe ihn gefragt, was er will. Da hat er gesagt: Pfirsiche . Er hat gesagt, das wäre sein letzter Wunsch.« Dann trat sie ihn tatsächlich, aber es schien ihr auch nicht zu helfen. »Er hat gesagt, wenn ich ihm abends die Pfirsiche bringe, würde er mir am Morgen alles erzählen.«
    »Woher wusste er, ob es Tag oder Nacht ist?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das habe ich auch verbockt. Ich hab’s ihm gesagt.«
    »Nicht so schlimm«, sagte ich beschwichtigend. »Den Fehler machen alle Praktikanten.«
    »Aber mitten in der Nacht überkam mich plötzlich so ein Gefühl«, fuhr sie fort. »Ich hatte auf einmal so ein Bauchgefühl, dass etwas nicht stimmt, also bin ich hergekommen und habe ihn so vorgefunden.«
    »Wir verlassen uns nicht auf Bauchgefühle«, belehrte ich sie. »Das tun die Pubjok.«
    »Und was haben wir aus Buc rausgekriegt? Gar nichts.Was haben wir aus Kommandant Ga rausgekriegt? Ein beschissenes Märchen, und wie man einem Büffel einen runterholt.«
    »Q-Ki!«, sagte ich. Ich stemmte die Hände in die Hüften und atmete tief durch.
    »Seien Sie bitte nicht sauer auf mich«, sagte sie. »Schließlich haben Sie ihn nach den Dosenpfirsichen gefragt. Sie haben ihm erzählt, dass Kommandant Ga im selben Gebäude ist. Buc hat nur eins und eins zusammengezählt.«
    Sie sah aus, als wollte sie jeden Moment davonstürmen. »Übrigens, noch etwas — wissen Sie noch, wie Kommandant Ga gefragt hat, ob das seine Pfirsiche wären oder die von Genosse Buc? Als ich Genosse Buc die Büchse mit den Pfirsichen aushändigte, hat er mich dasselbe gefragt.«
    »Was haben Sie ihm gesagt?«
    »Was ich ihm gesagt habe? Nichts! Schließlich bin ich die Verhörspezialistin, oder?«
    »Falsch«, erwiderte ich. »Sie

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